Vier Uhr in der Früh, wirklich nicht meine Zeit. Wir stehen auf und Heiko macht Kaffee. Keiner spricht viel und die Stimmung ist ein wenig gedrückt. Rasmus hat gestern sein ganzen Kram gepackt, geputzt, geflickt und das Moped abgeschmiert, um heute seinen Trip fortzusetzen. Nach fast vierzehn Tagen gemeinsamen Reisens gewöhnt man sich eben doch aneinander. Und Rasmus sorgte mit seiner fröhlichen Art immer für etwas zum Lachen. So schön wie das Reisen mit neuen Bekanntschaften und Leuten ist, am Ende muß man jedesmal Abschied nehmen. Wir tragen es mit Fassung und Rasmus findet sogar noch die richtigen Worte des Dankes an Susan, die wirklich viel für uns getan hat. Wir fallen uns in die Arme, auf diesem Trip werden wir uns wohl nicht noch einmal wieder sehen, aber in Deutschland in zwei Jahren, versprechen wir uns, da machen wir ein großes Treffen.
Der Motor des Toyota surrt monoton. Susan, Heiko und ich sind auf dem Weg zum Dipneting. Das ist die nationale Art, seine Tiefkühltruhe für den Winter mit Lachs zu füllen. Ich bin sehr gespannt darauf, was uns erwartet. Den Erzählungen zufolge wird es ein großes Schlachten. Es ist die Zeit des Lachses. Der ganz große Run begann vor zwei Tagen. Die Lachse kommen aus dem Meer in den Golf von Alaska und schwimmen dann weiter ins Cook Inlet, die vorgelagerte Bucht. Der große Kenai River, in dessem Delta das Dipneting stattfindet, hat auf seinem langen Weg viele viele Zuflüsse, die wiederum Kinderstube für tausende Lachse waren und zu denen sie nun zurückkehren. Der Lachs, der vom Salz- ins Süßwasser kommend seine Farbe wechselt und auch sonst nur noch auf Paarung und Fortpflanzung aus ist, schmeckt nach einiger Zeit muffig und schwammig. Er stoppt die Ernährung und geht nur noch sporadisch jagen. Deshalb wird besagtes Dipneting im Delta veranstaltet, wo der Lachs noch frisch und unverbraucht ist.
Wir kommen in Kenai an. Die beiden Freundinnen von Susan, Teresa und Karla, die wie Susan um die Vierzig sind, trafen wir unterwegs. Die Frauen haben es sehr eilig. Das Dipneting beginnt um sechs Uhr und ab Elf startet das kommerzielle Fischen der Fischerboote, welche dann, zahlreich erschienen, das gesamte Delta mit ihren Netzen abriegeln. Sie steigen aus und schnappen sich ihre überdimensionierten, langstieligen Netze, die Kühlboxen, die Schlachtermesser, die Gummihosen, die ihnen bis zum Busen reichen und die Gummistiefel. Heiko und ich sollen die Autos parken, wir würden sie am Strand schon finden. Wir parken die Autos und schlendern zum Strand. Meine Vorstellung, dachte ich, wäre eigentlich nicht mehr zu toppen. Aber als wir dann über die Dünen zum breiten Strand kletterten und der Blick auf die große Flußmündung frei war, glaubte ich zu träumen. Tausende Menschen standen zu beiden Seiten der riesigen Flußmündung und fischten mit ihren Netzen die Lachse aus dem seichten Wasser. Einen nach dem Anderen, Schlag auf Schlag. Von Zeit zu Zeit rief mal jemand »Hoho, ich habe zwei, ich habe zwei«. Alle Nachbarn riefen sich dann zu »Oh, er hat zwei, hast du gesehen, er hat gleich zwei?«. Dann zieht er sie aus dem Wasser, befreit sie von dem Netz, um sie dann, besten Falles, mit einer Keule zu töten. Oftmals bleiben sie auch einfach am Strand liegen und ersticken, weil der siegreiche Jäger sofort wieder ins Wasser eilt um erneut sein Netz ins Wasser zu halten. Teilweise übernehmen die umherspringenden Kinder den Job des Tötens, sie klopfen mit kleinen Stöcken so lange auf den Köpfen der Lachse herum, bis diese nach minutenlangem Springen und Kämpfen aufgeben und besinnungslos zur Seite kippen. Überall ist Blut. Die Fische werden zum Teil an Ort und Stelle ausgenommen und filetiert. Die Reste bleiben dann am Strand liegen und werden von den tausenden, wartend umherfliegenden, Möwen gefressen. Da pro Person 25 Lachse erlaubt sind, versucht jeder so schnell wie möglich Fische zu fangen.
Teresa und Susan haben ihren Spaß. Sie stehen bis über die Hüfte im Wasser und halten ihre Kescher. Sie wechseln sich ab, einmal fängt die eine, dann fängt die andere Einen. Karla, welche ihre Tiefkühltruhen schon voll hat, kam nur des Spaßes wegen und zum Helfen mit. Sie steht am Strand und tötet die Fische mit einem Schnitt hinter die Kiemen. Überall ein Gegacker und Gekeife, alle lachen, sind in Feierlaune und freuen sich wie die Lachse springen. Es herrscht eine Art Festtagslaune. Die Lachse wiegen alle ihre drei bis fünf Kilogramm. Sie sind prall gefüllt mit Eiern oder Milch, um in ihrem Geburtsfluß den Kreislauf ihres Lebens zu schließen.
Die Mädchen geben auf, Susan hat dreizehn Lachse in ihrem Netz gehabt, Teresa sogar neunzehn. Was für ein Tag für die Mädels. Sie sind erschöpft und gehen trotzdem noch ans Ausnehmen der Fische. Die Reste fliegen an den Strand, wo sich bald die hungrigen Möwen streiten werden. Dipneting erinnert mich an die alte indianische Tradition des Fischens, oder mehr noch an die der Inuits, der Eskimos, wenn die Menschen ihre Vorräte anlegten, um über den langen und harten Winter Alaskas zu kommen.
Susan, Rasmus, Theresa und Heiko beim Säubern und Ausnehmen der Silberlachse
Die nicht verwertbaren Reste werden ins Wasser zurückgeworfen ...
... was den Möwen nicht entgeht.
Nichts desto trotz ist es eine sehr brutale Art und Weise und ich freue mich schon wieder, einsam am Ufer zu sitzen und zu warten das einer anbeißt, selbst auf die Gefahr hin, daß es dann am Abend doch wieder nur Reis zum Essen gibt.