Floßtour auf dem Yukon

< Eagle

Der Bau des Floßes

Dieter Reinmuth, der Inhaber der Yukon River Lodge in Dawson City meinte, einer seiner Freunde habe ein Floß aus Bauschaum gebaut und es wäre mit wunderbar wenig Tiefgang geschwommen. Also fragten wir in Whitehorse die Leute nach Firmen welche diesen Schaum benutzen. Man schickte uns von einer Ecke der Stadt in die andere. Eine Bootsfirma, die Fieberglaskanus baut vermittelte uns den Kontakt zu Kirk Potter. Kirk arbeitet mit dem Schaum und nahm uns gleich den Wind aus den Segeln. Ein Floß unserer Größe aus diesem Schaum würde etwa 4.000 Dollar kosten, wir könnten aber die großen 200-Liter-Fässer, in denen die Grundsubstanz des Schaums geliefert wird, kostenlos bekommen und daraus ein Floß bauen. Er gab uns noch die entscheidende Telefonnummer von Robert Bellon. Als wir ihn anriefen, war er sofort mit einem kleinen Modell seiner Floßkonstruktion unterm Arm bei uns und fing an zu erzählen. Er baut seine Flöße aus richtigen Baumstämmen und hält sie mit einem Stahlseil zusammen.

Simons Whisky floß in Strömen und wir lauschten gespannt den vergangenen Floßabenteuern von Robert. Kirk war an dem Abend auch da und bald war klar, daß wir aus zwei entscheidenden Gründen das Robert-Bellon-Design dem Kirk-Potter-Design vorziehen. Wir würden zum ersten ein Floß bauen wie die Flöße vor hundert Jahren, als der Goldrausch die Menschen zu Tausenden die Flüsse hinunter trieb und damit einen Teil der Geschichte des Yukonterritorium wieder aufleben lassen. Und der zweite - für mich alles entscheidende - Grund war, ein Floß aus massiven Holzstämmen geht völlig geräuschlos den Fluß hinunter, während zwischen den Tonnen das Wasser unheimlich plätschert.


Gesagt getan - nachdem wirklich auch das letzte Bier vernichtet war verkrochen wir uns unter unsere Decken und bevor ich zufrieden einschlief schaute ich noch einer großen Menge harter Arbeit entgegen.


Es konnte also losgehen. Robert hatte gerade einen Job bei Harley Davidson als Tischler, da die Zeit des kurzen Sommers auch die Zeit des Geldverdienens im Yukon ist. Zunächst schauten wir auf der Karte, welcher Platz am geeignetsten scheint. Wir entschieden uns für den Campingplatz am Lake Labarge, gegenüber von Richthofen Island. Erstens holten wir die schweren Stämme aus dieser Richtung und zweitens hätten wir dann bereits schon einige Kilometer des schwer zu überquerenden Sees hinter uns. Es war gerade Wochenende und wir fuhren zwei Tage hinaus in ein großes Waldbrandgebiet, wo 1998 innerhalb von vier Monaten 180.000 Hektar Wald verbrannten und welches in der Gegend als Fox-Lake-Feuer bezeichnet wurde. Wir fällten die Bäume, die seit nunmehr sechs Jahren getrocknet waren und sich dadurch für unsere Zwecke am besten eigneten. Robert suchte die besten Stämme aus und bearbeitete sie mit seiner Kettensäge. Dann rollten wir sie den Steilhang hinunter, an dessen Ende sie nach großem Getöse liegen blieben. Drei Meter lang und dreißig Zentimeter im Durchmesser. Das ergab bei ca. 200 Kilogramm pro Stamm insgesamt vier Tonnen. Die mußten nun auf den kleinen Truck geladen werden. Wir arbeiteten hart und fuhren die Strecke zum See fünf Mal, um dann endlich mit dem Bohren der Löcher von Hand zu beginnen. Der Gedanke, ein Floß zu bauen wie 100 Jahre zuvor die Pioniere des Yukon, gefiel mir sehr, jedoch habe ich mir mehr als einmal einen Stromgenerator gewünscht. Das Stahlseil hatte eine Dicke von ca. einem Zentimeter und der Bohrer war dementsprechend größer.

Firefighter

Bäumefällen am Steilhang - die schweren Stämme poltern den Hang hinunter

Wir hatten also 42 Löcher zu bohren und gingen mit großer Begeisterung und Motivation ans Werk. Robert, der am liebsten seinen Job hinschmeißen wollte um uns zu helfen, kam immer nach der Arbeit die 50 km zu uns hinaus und brachte neues Baumaterial. Wir brauchten einen ganzen Tag für die Löcher und wenn die Motivation nachließ blieben nur noch die harte Arbeit und schmerzende Gelenke.

Als die Stämme endlich im Wasser lagen, einzeln aufgefädelt auf das Stahlseil, das Seil mit einem Schäkel geschlossen, hatten wir die Basis für unser Floß fertig. Spät abends feierten wir unseren ersten abgeschlossenen Bauabschnitt.

Löcher Bohren

Das Bohren der Löcher verlangt viel Muskelkraft

Robert meinte, als Kapitän unseres kleinen Schiffes müßte ich mir einen zukunftsträchtigen Namen einfallen lassen und es müsse ein weiblicher sein, da man ja als Kapitän ein Verhältnis eingeht. Sein letztes Floß hieß Isabella und als es in Dawson City ankam, bauten Freunde von ihm eine kleine Blockhütte aus dem Holz, welche jetzt den Namen des Floßes trägt. Das könnte ich mir auch gut vorstellen mit dem Holz unseres Floßes. Jedoch ist die Größe von drei mal sechs Metern für Robert eher ein kleiner schwimmender Butterkeks. Seine Flöße hatten die Größe von sechs mal zwanzig Metern und Platz für sechzehn Leute.

Das war mal ein Floß

Diese Hütte in Dawson City war einst Roberts letztes Floß

Am nächsten Tag begannen wir die Aufbauten. Zunächst befestigten wir einen sechs Meter langen Stamm an beiden Außenseiten. Dann montierten wir die beiden Decks vorn und hinten und begannen mit der Kabine. Die Kabine konstruierten wir leicht trapezförmig da diese Form die beste Stabilität versprach. Dach aufsetzen und Boden einlegen war dann schon nicht mehr möglich, da einer der fettleibigen amerikanischen Riesen-Wohnmobil-Touristen sich bei seiner allabendlichen Fernsehserie gestört fühlte und uns mit dem Mountainranger drohte, sollten wir das Hämmern nicht sofort einstellen. Um größeren Ärger zu vermeiden mußten wir für heute die Hände in den Schoß legen.


Auch der nächste Tag beginnt mit strahlendem Sonnenschein. Es sind um die 25 °C und wir können es nicht erwarten an die Arbeit zu gehen, als wir Serge kennen lernen. Oder besser, er lernt uns kennen indem er zu unserer kleinen Baustelle herunter kommt. Wir unterhalten uns ein bißchen und er lädt uns ein, mit dem Boot über den See zu fahren und nach seinen Netzen zu sehen. Wir sind uns einig, der Floßbau kann ein paar Stunden warten, und willigen ein.

Er hat seine Netze auf der anderen Seite des Sees genau in der Strömung und da momentan die Königslachse den Yukon hinaufziehen sind wir schon sehr gespannt. Serge erzählt pausenlos Geschichten aus seinem Leben und hat in uns sehr aufmerksame Zuhörer gefunden.

Sein Großvater kam von Sibirien herüber ins Yukonterritorium und sein Vater, der Alexander hieß wie auch Serge mit zweitem Vornamen, lernte hier seine Mutter kennen. Die war ebenfalls Russin und stammte aus einer Gegend nahe der iranischen Grenze. Serge, eines von acht Geschwistern, ist heute der älteste Indianer im Yukon, der immer noch Hundeschlitten fährt.

Er ist sehr stolz darauf und erzählte uns viele Geschichten von seinen Rennen, die er nicht selten auch gewann. Heute fährt er keine Rennen mehr und auch seinen Trappertrail kann er nicht mehr bewirtschaften und trotzdem beginnen seine lebhaften Augen zu strahlen, wenn er von längst vergangenen Zeiten berichtet. Wie er die altersbedingte, mangelnde Kondition durch langjährige Erfahrung ausglich und so manchen jungen Heißsporn auf die Plätze verwies. Auch seine Hunde hat er immer noch, die er uns alle einzeln vorstellt und bei deren Betreuung ihm ein Freund hilft.

Serge

Serge auf der Richthofeninsel

Langsam sind wir auf der anderen Seite des Sees angelangt und sehen schon die Schwimmbojen der Netze im Wasser auf- und abtanzen. Wir sind alle sehr gespannt. Von der Uferseite angefangen fahren wir langsam am Netz entlang und ziehen es Meter für Meter über die vordere Bordwand des kleinen Aluminiumbootes während es über die hintere wieder hinausläuft und langsam im Wasser verschwindet.

Da kommt ein heller Punkt zum Vorschein, der langsam größer wird und die Konturen eines Fisches annimmt. Eine herrliche 50 bis 60 cm große Seeforelle. Sie landet im Boot und nach und nach kommen noch zwei Königslachse und ein Riesen-Hecht dazu. Am meisten freut er sich über die Lachse, den Hecht bezeichnet er als »Stinki-Hecht« und will ihn als Hundefutter nutzen.

Auf dem Weg zurück zum anderen Ufer macht das Boot plötzlich einen Schlenker und hält auf die Mitte von Richthofen Island zu. Er zwinkert uns zu, und meint er wolle uns noch etwas zeigen. Offensichtlich zufrieden mit unseren erstaunten Gesichtern spuckt er wieder seinen Tabak über Bord, den er sich von Zeit zu Zeit zwischen die Zähne schiebt und hält direkt auf die Insel zu. Als wir das Boot festgemacht haben und ein Stück in das Inseldickicht vordringen, stehen wir plötzlich vor einem großen Beerenbusch. Serge bedeutet uns die Beeren zu probieren und ißt selbst welche. Sie schmecken köstlich, wie Blaubeeren etwa. Sie sind fast so groß wie Kirschen und haben keinen Kern. Er erzählt, daß sein Großvater diese Beeren kannte und den Busch, als die Zeit reif war, seinem Vater gezeigt hat. Diese Art von Beeren kommt hier in der Gegend normalerweise nicht vor und wurde wahrscheinlich einmal vom Fluß mitgebracht. Der Standort war ideal und so begann der Busch zu wachsen. Sein Vater hütete dieses kleine Geheimnis ebenfalls so lange bis Serge alt genug war es zu erfahren. Ich frage Serge warum er es gerade uns erzählt. Er sagt, daß er von uns nichts zu befürchten hat weil wir ja auf Durchreise sind. Es sind noch nicht alle Beeren reif und Serge meint, er kommt von Zeit zu Zeit vorbei und schaut ob sie so weit sind. Er wird bald mit einem Korb kommen und eine herrliche Ernte wunderbarer Früchte einfahren.

Wir gehen zurück an den Strand und lassen uns in die sonnengewärmten Kiesel fallen. Die leichten Wellen des Labergesees plätschern an die roten Aluminiumwände von Serges Boot.

Ich blinzle in die Sonne und lausche der Geschichte von Serges Cousin, der unten in Dawson City als eine Art Journalist tätig ist und damals für die Regierung arbeitete. Sein Job war es, die sogenannten Claims der Goldgräber abzustecken, in eine Karte einzuzeichnen und mit großen Pfählen zu markieren. Eines Tages, sein Cousin war gerade damit beschäftigt einen der Begrenzungspfähle einzuschlagen, stürzte sich hungrig und entschlossen aus dem Dickicht ein riesiger Braunbär auf ihn. Er hatte sich offensichtlich herangeschlichen. Der Cousin, der mit erhobener Axt dastand, eigentlich bereit einen Pfahl zu setzen, drehte sich abrupt um und hieb aus Leibeskräften zu. Mit einem Hieb in den Kopf erledigte er den Bären. Man fand ihn später zitternd und unter Schock. Er saß da, hatte den Bären vor seinem Schoß liegen und die Axt steckte sieben Zentimeter tief in seinem Kopf. Platsch - Serge spuckt seinen Tabak zur Seite, als wenn er uns damit andeuten will: So, das war also die Geschichte meines Cousins.

Es ist spät geworden und aus einer Stunde die wir uns von der Arbeit frei nehmen wollten wurden locker vier, aber wir bereuen es nicht. Ich persönlich könnte Stunden zubringen alter Leute Geschichten zu hören, besonders denen fremder Kulturen.

Wir machen uns auf den Rückweg und bringen den Fisch zu ihm nach Hause. Er hat ein Räucherhaus in dem er einige getrocknete Lachsfilets hängen hat. Er nimmt die Fische aus und schenkt uns ein bißchen Trockenfisch zum Probieren.

Bevor er uns zum Abschied und als Dankeschön für die Hilfe mit den Netzen die Seeforelle schenkt, zeigt er uns noch sein Winterangelhaus. Eine kleine Hütte auf Kufen, die er mit seinem Allradquad auf den zugefrorenen See hinauszieht und dann gut beheizt abwartet bis bei den umliegend gehackten Fischlöchern im Eis die Fische beißen.

Wir gehen zurück zu unserer kleinen Baustelle und setzen unsere Arbeit fort. Die schweren Zweihunderter-Nägel haben es in sich, doch langsam Stück für Stück entsteht die kleine Yacht und wir sind stolz.


Das seichte Auf und Ab der Wellen läßt mich erwachen. Dicht unter meinem Kopf, ganz nahe am Ohr gluckert das Wasser zwischen den dicken Stämmen. Wir haben das erste Mal auf dem Floß geschlafen. Über Nacht ist Wind aufgekommen und bewegt das schwere Floß hin und her, als wollte er es endlich auf seinen ihm bestimmten Weg schicken. Ich schaue mich um, alle schlafen noch und versuchen mit lautem Schnarchen den schweren, letzten Abend aus ihrem Kopf zu bekommen. Richthofen Island liegt gegenüber verträumt im grünen Wasser, wie eine in weichem Samt gehüllte schlafende Prinzessin. Die braunen, felsigen Erhebungen werfen in der noch jungen Sonne überlange Schatten und im Hintergrund kann man diesig die Berge erkennen, die den Labergesee an dieser Stelle begrenzen. Unser Floß liegt sicher vertäut im Wasser und wartet darauf, endlich seine Jungfernfahrt, seine erste, einzige und letzte Fahrt anzutreten. Die Fahrt für die es gebaut wurde.

Jo Bendtfeld

Der deutsche Erfolgsautor Jo Bendtfeld besucht unseren Floßrohbau

Logbuch Tag 1

Das Floß ist fertig und wir machen uns bereit aufzubrechen. Einkäufe tätigen, Wasserkanister füllen, Kameraausrüstung checken und überflüssige Klamotten aussortieren. Dann wird alles wasserdicht verpackt und auf geht es. Jo Bentfeld, Autor zahlreicher Bücher über Alaska und Kanada und Kapitän eines kleinen Hausbootes sowie seine ebenfalls journalistisch tätige Frau Sabine Wedekind haben sich, als sie von unserem Projekt hörten, sofort bereit erklärt, uns mit ihrem kleinen Boot auf den See hinaus in den Wind zu ziehen. Jo ist ein Mann mit vom Leben gezeichnetem Gesicht, schlohweißem Haar und Bart. Er erzählt uns sofort und ohne Umschweife wie hart sein Leben als Erfolgsautor ist und wie er mit seinem Hausboot den Yukon bis zur See und nach Sibirien und zurück gefahren ist. Seine hübsche, um einiges jüngere Frau Sabine schreibt für ein in Deutschland erscheinendes Kanada-Magazin.


Der Wind bläst in der Mitte des Sees entweder aus Norden oder Süden, da sollten wir hin. Die Einheimischen sagen, in dieser Zeit des Jahres kommt er meistens aus südlicher Richtung, uns bleibt also nur abzuwarten.

Wir verabreden uns mit den beiden für zwölf Uhr und starten. Die harte Arbeit in den vergangenen Tagen hat uns geschlaucht und wir sind froh, nun endlich die sauer verdienten Früchte zu ernten. Das Hausboot setzt sich langsam in Bewegung und das zwei Zentimeter dicke Seil spannt sich zum bersten. Es war die teuerste Anschaffung und ist unsere sichere Verbindung zum Land, da vier Tonnen Gewicht oftmals aus voller Fahrt, was durchaus zehn km/h sein können, gestoppt werden müssen. Mühsam kommt das Floß in Bewegung.

Wir werden von Jo Bendtfeld mit seinem Hausboot auf den See geschleppt

Wir werden von Jo Bendtfeld mit seinem Hausboot auf den See geschleppt

Mit allen Aufbauten haben wir wahrscheinlich nun zwischen vier und fünf Tonnen Gewicht. Den Mast, den wir als Einziges gekauft haben, bestückten wir mit einem drei mal vier Meter Segel. Er trägt jetzt all unsere Hoffnung, über den See zu kommen. Horrorstories von Flößen, die Wochen für den See brauchten, klingen uns nur allzugegenwärtig in den Ohren und wir ignorieren sie vehement. Durch unseren Standort haben wir etwas weniger als die Hälfte der Strecke eingespart. Trotzdem bleiben etwa 35 km zu fahren bis der Yukon, der am einen Ende des Sees hineinfließt am anderen wieder hinausgeht.

Das Wetter ist fantastisch und wir sitzen auf dem Floß, genießen die Sonne und lassen die Buchten, mit ihren wenigen versteckt liegenden Häusern, und das Ende von Richthofen Island an uns vorüber ziehen. Das Wasser ist glasklar und soll an manchen Stellen bis 150 m tief sein. Es lädt zum Baden ein, obwohl es nicht gerade Badewannentemperatur hat. Drei Stunden sind wir jetzt schon im Schlepptau und nähern uns langsam der Mitte des Sees. Mir wird klar, das wir mit Paddeln allein bis in die Seemitte schon Tage gebraucht hätten. Deshalb an dieser Stelle noch einmal herzlichen Dank an Jo Bentfeld und Sabine Wedekind.


Ich hatte genügend Zeit, mir einen Namen zu überlegen. Zukunftsträchtig sollte er sein und weiblich - nun mir viel nur ein einziger treffender Name ein: »Yvonne«. So heißt also nun unser Floß und der Name steht in großen Lettern auf dem Segel. Er bedeutet mir alles, was ich mit meiner Zukunft verbinde. Wir haben es mit gutem Yukonbier getauft und hoffen, daß es uns sicher durch die fünf Finger Rapids und bis nach Dawson City bringt.


Wir koppeln uns von Jos Hausboot ab und stehen zunächst in totaler Windstille auf dem See. Dann kommt der erste Wind auf und wir setzen Segel. Der Wind wird stärker und wir kommen gut vorwärts. Die steilen Felsen und Klippen ziehen an uns vorüber und das Segel ist zum Platzen voll, als plötzlich die Segelstange abknickt. Sie war wohl nicht für diese Windstärke ausgelegt. Als hätte er es vorhergesehen, hat Heiko einen alten Skistock mitgenommen und bindet ihn zur Verstärkung mit an. Ursprünglich sollte er einen Fischspeer für Heiko abgeben, doch nun hat er seine Bestimmung hoch über unseren Köpfen gefunden, so das wir unsere Fahrt unvermindert fortsetzen können.

Wir setzen Segel

Wir setzen Segel und verabschieden Jo und Sabine

Langsam geht die Sonne unter. Wir überlegen an Land zu gehen, oder den Wind zu nutzen und weiterzufahren. Ein heftiger Regen setzt ein und wir stehen an Deck, die Hände tief in den Taschen vergraben. Heiko als alter Seemann steuert mit Kompaß und Simon liest die Karte als täte er nie etwas anderes. Wir entschließen uns zur Weiterfahrt. Der Regen läßt nach und der heftige Wind versucht alles zu trocknen.

Zeit für mich ein Stündchen zu schlafen. Ich mache es mir auf dem Dach bequem und schlafe sofort ein.


Nachts werde ich jäh aus dem Schlaf gerissen. Etwa zwei Uhr morgens wecken mich die beiden. Im Dunkeln sind in Windrichtung Bergspitzen zu erkennen. Wie kann das denn sein? Zunächst denken wir, wir sind irgendwo in eine kleine Bucht gefahren, doch dann wird uns klar, daß wir den ganzen See schon überquert haben. Das ist rekordverdächtig: 35 km in nur zwölf Stunden mit einem vier Tonnen schweren Floß.


Der Ablauf des Yukon ist nicht leicht auszumachen. Als wir ihn finden und er uns aufnimmt geht plötzlich alles wie von selbst. Die Hauptströmung erfaßt uns und wir werden mitgerissen. Die Fahrt geht plötzlich bedeutend schneller. Der Yukon fließt hier mit ca. 7 bis 10 km/h.

Wir versuchen ein Anlegemanöver, als die Strömung uns ans rechte Ufer treibt. Rüberspringen, einen Baum finden und Seil festmachen. Das ging ja wirklich einfach. Wir planen unser Floß ab und schlafen nach langem Unterhalten über die ersten Erlebnisse ein.

Logbuch der »Yvonne« Tag 3

Von weitem sehen wir, wie uns ein rotes Kanu folgt. Der Fluß macht eine riesige Biegung von fast 300° und hat uns einfach mit unserer vier Tonnen schweren »Yvonne« an der Außenseite ausgespuckt. Es hat sich ein größerer Rücklauf gebildet und der läßt viele Wasserpflanzen gedeihen. Ein guter Platz zum Angeln, wie sich bald herausstellen soll. Heiko steht seit einigen Stunden auf dem Dach unserer Kabine, welche wir das Oberdeck nennen, und angelt. Plötzlich der erste Biß. Eine herrliche Polaräsche hängt am Haken und sofort hat jeder das Bild von frisch gebratenem Fisch vor Augen. Heiko zieht eine nach der anderen aus dem Wasser. Ich stelle meine Angel hin und begnüge mich damit, die Äschen vom Haken zu nehmen, zu schuppen und für den Grill vorzubereiten. Das Kanu kommt um die weite geschwungene Kurve und nähert sich unserer kleinen Bucht. Es trägt einen Aufkleber der UP-North-Leute, die in Whitehorse Kanus vermieten und uns eines ihrer alten klapprigen Bootsdocks für sage und schreibe 575 kanadische Dollar verkaufen wollten. Die beiden Kanuten grüßen freundlich und fragen, ob wir schon was gefangen hätten. Als wir merken, daß wir alle aus dem guten alten Mitteleuropa stammen, kommen sie herübergepaddelt und machen längsseits fest.

Horst und Andrea

Horst und Andrea machen längsseits fest

Andrea und Horst aus Waiblingen sind 26 und 32. Sie paddeln drei von fünf Wochen auf dem Yukon herunter und wollen dieselbe Strecke wie wir bestreiten. Horst hatte bisher weniger Glück mit der Angel und da Heiko schon seinen fünften Fisch herausholt, laden wir die beiden auf frischen Fisch vom Grill ein. Wir plaudern über gesehenes Wild, über Flußbekanntschaften und über die bisher gefahrene Strecke. Die beiden haben vom Herflug noch eine Flasche Whisky dabei, die nun, gerade mal mittags um zwölf die Runde macht. Wir kochen Kaffee und sitzen in der Sonne.

Horst ist Lehrer für Mathe und Physik und genießt die Zeit mit Andrea im Kanu, die das kanadische Bier lieben gelernt hat und als Domestik-Stewardess der Lufthansa in Deutschland arbeitet.

Die Zeit vergeht wie im Fluge und nachdem Horst noch einige Angelversuche von unserem Oberdeck absolviert hatte, verabschieden sich die beiden wieder. Sie legen ab, winken noch kurz und mit wenigen Paddelschlägen sind sie wieder in der Strömung, die sie sofort erfaßt und davonträgt.

Wir sind, wie so oft nach einem guten Essen, faul geworden. Doch wir wollen noch einige Flußkilometer schaffen und beschließen ebenfalls abzulegen. Wir stoßen uns ab und pullen in Richtung Strömung. Der Fluß erfaßt uns und wir werden mitgerissen. Jedoch nur an der Außenseite und steuern damit geradewegs auf die Büsche zu. Ein mächtiger Ruck geht durch das Floß. Ein dicker, weit ins Wasser ragender, querwachsender Baumstamm streift uns längsseits und räumt faßt die Feuerstelle ab, dann sind wir wieder im Hauptstrom. Die Ruder rein und ausruhen. Still gleiten wir auf dem großen Fluß dahin. Ein Eichhörnchen schreit irgendwo am Ufer und die Natur bereitet sich langsam auf den hereinbrechenden Abend vor.

Logbuch der »Yvonne« Tag 4

Heute morgen, wir hatten kurz vor Ancorpoint festgemacht, liegt dicker Rauch in der Luft. Ich stehe gegen neun Uhr auf und schreibe. Anfangs dachte ich es sei der morgendliche Nebel. Man kann das gegenüberliegende Ufer und die hohen Berge kaum erkennen. Doch jetzt, es ist mittlerweile zwölf Uhr, kann man den beißenden Qualm von Waldbränden riechen.

Wir überlegen schnell aufzubrechen, um dem dicker und dicker werdenden Qualm flußabwärts zu entkommen.

Einige Stunden später. Die Königin hat uns wieder einmal ausgespuckt, diesmal in einer kleinen Bucht die wie gemacht ist für Hechte. Kaum zu Ende gedacht hat Heiko schon ein riesiges Exemplar an seiner Angel. Nach einigem Kämpfen reißt der kapitale Bursche die Leine durch und verschwindet mit dem Haken im Maul ins dichte Gestrüpp der Wasserpflanzen. Nach einigen vergeblichen Versuchen habe ich endlich auch einen Biß. Er zieht und kämpft um der Pfanne noch zu entkommen. Ich löse die Bremse um diesen Kollegen nicht auch zu verlieren und hole ihn langsam ein. Wir haben Glück, er ist total erschöpft vom Kämpfen und ich nutze die Gelegenheit und ziehe ihn schnell heran. Heiko greift zu und paff. Unser Mittagessen ist gesichert.

Logbuch der »Yvonne« Tag 5

Was für ein Wetter! Wir stellten uns den Bordchronographen auf neun Uhr und erwartungsgemäß klingelt er auch. Es regnet in Strömen und es ist naßkalt. Wir legen ab und wenige Minuten später sind wir naß bis auf die Knochen. Es ist schwierig, auf den achtzehn Quadratmetern die Stimmung hochzuhalten und wir beschließen, den Tag durchzufahren.

Wir schmeißen uns in die Riemen, denn für einige schwierige Manöver bedarf es ordentlich Muskelkraft. Ab und zu erfordert der Fluß unsere ganze Aufmerksamkeit. Laut Karte müßten wir hier am Dutch Bluff, welches wir gerade passieren, den linken Kanal fahren. Da uns die Hauptströmung aber wiedermal zu weit rechts aus der Kurve kommen läßt, haben wir keine Chance. Wir nehmen den geraden Weg und sehen nun auch, warum wir besser links gefahren währen. Eine riesige Fläche mit Stromschnellen läßt das Wasser unheimlich schnell fließen. Es wird immer flacher.

Noch 80 cm, noch 70 cm, noch 60, 50, 40, ... und erster Bodenkontakt. Das Floß ruckt über die ersten Steine. Noch sind wir ziemlich schnell und können unseren Schwung ausnutzen. Rechts ist es etwas tiefer, wir versuchen nach rechts zu staken. Ruck, ruck, wir büßen an Geschwindigkeit ein. Doch wir haben Glück. das Floß dreht sich über einen Stein und die Strömung zieht uns ins tiefere Wasser. Geschafft! Das Wasser fließt langsamer und der Grund verschwindet wieder aus unserem Sichtfeld. Durch das viele Wasser welches der Fluß im Moment führt, hatten wir wahrscheinlich Glück. Die Sandbänke waren fast komplett überspült.

Inzwischen hat der Regen aufgehört. Wir lassen uns treiben und beschließen beim nächsten Stop, den die Flußqueen für uns vorsieht, zu übernachten.

Logbuch der »Yvonne« Tag 6

Wir treiben auf dem spiegelglatten Fluß dahin. Mittlerweile ist er doppelt so breit geworden, da der Teslin River und der Big Salmon River eine Menge Wasser einfließen ließen. Die Landschaft zieht an mir vorüber wie auf einer Leinwand - völlig geräuschlos. Die alte Uhr, die uns als Schiffs-Chronograph dient, tickt vor sich hin und erinnert daran, daß die Zeit nicht stehen bleibt. Auf einem hohen Baum nahe beim Ufer sitzt ein weißköpfiger Seeadler und beäugt uns ganz gelassen. Er ist nicht interessiert an uns. Ich an ihm allerdings sehr. Das Teleobjektiv ist im Anschlag und der Auslöser klackt daß es nur so raucht. Ich habe bei dieser doch recht schnellen Fließgeschwindigkeit nur etwa zwei, drei Minuten Zeit zum Einstellen und Auslösen. Dazu kommt noch ein Gewicht des Teleobjektivs von ca. 2 kg. Es passiert mir oft, daß ich nicht bereit bin oder die Tiere zu spät sehe, dann muß alles recht schnell gehen und klappt erst recht nicht. Zu meinem Glück ist die Natur hier so reich an schönen und interessanten Lebensformen, das ich nie müde werde, sie zu fokussieren und immer eine zweite Chance bekomme.

Weißkopfseeadler

Weißkopfseeadler

Überall am Ufer findet man Bärenspuren

Überall am Ufer findet man Bärenspuren

Schwarzbär

Begegnungen mit Bären, wie diesem Schwarzbären, sind jedesmal aufregend

Wir bereiten uns langsam vor, in Carmacks zu landen. Eine der Robert-Bellonischen Floßregeln ist, man landet nie dort wo man landen will. Wir müssen also auf alles gefaßt sein. Die Karte sagt uns, am linken Ufer nach der Highwaybrücke, einen Campingplatz mit Einkaufsmöglichkeit voraus. Genau dort wollen wir einschlagen. Vorher kommt eine lange Rechtskurve, was uns eigentlich entgegenkommt, da uns die Queen dann wieder nach links herauskatapultiert wo wir in diesem Falle ja hin wollen. Wir halten uns also gleich weit links und langsam kommt die große Brückenkonstruktion in Sicht. Als ich die gewaltigen Brückenpfeiler sehe, die tosend vom Wasser umspült werden, fährt mir erstmal der Schreck in die Glieder. Die Stelle wo die Brücke über den Yukon führt ist relativ schmal, dadurch ist das Wasser recht schnell unterwegs. Nach der Brücke geht ein kleiner Kanal nach links hinein. Den wollen wir schaffen. Das Problem ist, der äußerste linke Brückenpfeiler steht so nahe am Ufer das wir da nicht durch kommen. Wir müssen also um ihn herum und dann nach links paddeln was das Zeug hält. Langsam kommt die Brücke näher und näher. Wir werden schneller und schneller. Genau jetzt ist der richtige Zeitpunkt. Wir paddeln aus Leibeskräften gegen die starke Strömung. Da ist die Brücke und - zack - sind wir hindurch. Jetzt nach links und immer noch mit aller Kraft. Die Kanaleinfahrt ist genau links von uns, doch wir sind noch immer in der starken Strömung gefangen. Ein letzter Akt, eine letzte Kraftanstrengung und wir sind raus aus dem Hauptstrom. Das Wasser fließt jetzt um einiges langsamer. Wir haben den Kanal geschafft. Eiskaltes Bier und gebratener Fleisch, Dinge von denen wir die letzten Tage nur träumen konnten, rücken in greifbare Nähe. Carmacks ist die einzige Möglichkeit, auf den ganzen 700 Flußkilometern unsere Vorräte aufzufrischen und natürlich ein Kühles, frisch Gezapftes einzulassen.

Wir machen unsere schwere »Yvonne« fest und werden, wie schon des öfteren unterwegs, sofort ins Blitzlichtfeuer genommen. Wir geben bereitwillig Auskunft. Wo wir es gebaut haben? Wie lange wir unterwegs sind? Wie wir steuern? Ob wir überhaupt steuern können? Ich genieße es natürlich auch, aber jetzt gibt es erstmal ein kühles Bier. Wir gehen von Bord.

Wir lassen uns zum Essen vor dem Lebensmittelshop an der Tankstelle nieder und ein etwa 1,60 Meter großer Indianer kommt auf uns zu getorkelt. Er stellt sich als Greg vor, hat langes schwarzes zerzaustes Haar und eine Brille, die die Hälfte seines sonnengegerbten Gesichtes ausmacht und erzählt uns, daß er 64 Jahre alt ist und 32 Jahre als Feuerbekämpfer gearbeitet hat, bevor sie ihn entlassen haben. Er gehört zu den nördlichen Schoschonen und bekommt heute eine gute Pension zusätzlich zu den 130 kanadischen Dollars die die Regierung an die Indianer pro Kopf für ihr Land bezahlt. Greg entschuldigt sich für zu viel Alkohol den er heute hatte. Wir unterhalten uns über das Leben im Yukon und er erzählt, wie er früher mit seinem guten Bogen losgezogen ist und nach 50 km Wanderung durch die kanadischen Berge mit 60 Pfund Elchfleisch auf dem Rücken zurückkam.

Wir sollten Greg wenig später in der kleinen und einzigen Bar wiedertreffen. Die ersten Biere zischten nur so die Kehle herunter, als Greg uns am Nebentisch entdeckte, lud er uns zu einer Runde Billard ein. Von dem Moment an, hatte ich das Gefühl, waren wir in die Bargemeinde integriert. Einige Leute kamen sogar persönlich vorbei und stellten sich vor. Die meisten von ihnen sind nie aus Carmacks herausgekommen.

Ich verlor, glaube ich, an diesem Abend alle Spiele. Aber das störte mich überhaupt nicht. Im Gegenteil, es war möglicherweise sogar sehr hilfreich. Heiko brachte viel Zeit vor der Jukebox zu und Simon lies sich den ganzen Abend nochmals durch den Kopf gehen.

Wir waren alle irgendwie froh, als wir wieder auf dem Floß waren.


Am nächsten Tag riefen wir Robert Ballon an. Wir wollten ihm die Möglichkeit geben, uns ein Stück zu begleiten. Schließlich hatten wir ihm sehr viel zu verdanken. Als er hörte das wir gerade zum Zwischenstop in Carmacks festgemacht haben, setzte er sich sofort nach seiner Arbeit ins Auto, fuhr die 400 km von Whitehorse hierher und gegen 22 Uhr kam er als viertes Crewmitglied für den restlichen Weg nach Dawson City an Bord der »Yvonne«. Wir hatten natürlich viel zu erzählen und ich war sehr gespannt wie er sich als erfahrener Floßfahrer verhalten würde.

Logbuch der »Yvonne« Tag 8

Ein herrlicher Tag ist am erwachen. Verkatert sitzen wir beim morgendlichen Kaffee und legen ab. Mit Robert auf dem Floß gibt es wieder eine Menge zu erzählen. Im Gegensatz zu uns rudert er fast gar nicht. Sein Motto lautet »Der Fluß ist die Queen« und sie wacht schon über uns. Er ist quasi im Busch geboren und mit Leib und Seele Buschmann. Der Trip ist sein sechster Floßtrip und wenn wir gesund in Dawson City ankommen sein dritter erfolgreicher. Er ist 42 Jahre alt und arbeitet in allen möglichen Jobs, wie die meisten Leute im Yukon. Zu tausenden Kilometern im Kanu kommen bei ihm noch 4.000 km auf dem Floß, also vorausgesetzt wir sind erfolgreich und kommen bis Dawson durch. Für mich sind es dann 715 km auf dem Floß und ich muß sagen, ich liebe diese Art des Reisens schon jetzt.

Plötzlich gilt das Interesse eines jeden dem Fluß. Auf der linken Seite macht sich ein breites, bis zur Mitte des Flusses reichendes, Flachwasser durch lautes Plätschern bemerkbar. Das Problem ist, wir befinden uns auf der ganz linken Seite, da wir gerade durch eine lange Rechtskurve gefahren kommen. Das Viertonnenfloß ist ungelenkig und läßt sich nur schwer steuern. Alle müssen Paddeln. Robert stakt ganz angestrengt. Alles geht jetzt ganz schnell. Wir haben die ersten Bumper und das Wasser wird immer noch flacher. Die Bumper häufen sich. Bumper nennen wir den Kontakt mit dem Grund oder den Uferkontakt. Wir springen raus ins Wasser und versuchen zu schieben, damit das Floß in Bewegung bleibt. Doch es ist zu spät, die »Yvonne« ist gnadenlos aufgelaufen. Ein, zwei Meter bekommen wir sie noch bewegt, doch dann ist Schluß. Das schwere Geschoß sitzt fest. Sie bewegt sich keinen Meter mehr. Wir hebeln und schieben, doch es hilft alles nichts. Das Wasser strömt jetzt wie wild an den großen Baumstämmen vorbei und macht laute Geräusche. Ich denke so bei mir, das kann es doch nicht gewesen sein. Wir haben noch nicht einmal die Hälfte der Strecke geschafft. Das wäre das Schlimmste was passieren könnte. Wir müßten unser ganzes Zeug inklusive Ausrüstung, Klamotten und Verpflegung quer durch die Wildnis schleppen um zu einem Highway zu gelangen. Doch daran denkt in dem Moment noch keiner. Robert holt aus seiner Werkzeugkiste ein langes Seil mit großen Umlenkrollen. Einen Flaschenzug, dessen Funktion er uns schon an seinem Modell vor geführt hatte. Er läuft durch den Fluß auf das linke Ufer zu und sucht einen geeigneten Baum um es dort zu befestigen. Mehrmals hin und her umgelenkt würde der Flaschenzug die Kraft eines jeden von uns verachtfachen. Ich hoffe sehr, daß es funktioniert. In dem Moment kommen Horst und Andrea mit ihrem Kanu um die lange Kurve. Wir können jetzt jede Hand gebrauchen. Horst als Physiklehrer hat sofort konstruktive Vorschläge für Hebelwirkung parat und setzt sie in die Tat um. Inzwischen steht der Flaschenzug und wir hebeln und ziehen alle gemeinsam auf ein Kommando. Das ist wichtig, damit die größtmögliche Kraft auf das Floß wirkt. Ich zähle bis drei und muß dabei fast brüllen um das Getöse des Wassers zu übertönen. Und tatsächlich, die »Yvonne« bewegt sich ein bißchen. Wir müssen sie fünf bis acht Meter über die Steine bewegen, damit sie wieder schwimmt. Dann etwa zehn Meter am Ufer entlang und steil nach rechts Richtung Mitte des Flusses durch weitere Sandbänke hindurch in die Strömung zurückschieben.

»Eins, zwei, drei«. Wieder bewegt sie sich ein Stück. Und wieder, auf drei ziehen drei Mann am Seil und zwei Mann hebeln am Heck des Floßes. »Eins, zwei, drei« und »Knall!«. Ein Knoten löst sich mit lautem Getöse. Die Leute am Seil nehmen ein unfreiwilliges Bad. Jeder lacht und ich denke es ist einfach nur noch eine Frage der Zeit, bis wir wieder schwimmfähig sind.

Flaschenzug

Wir sitzen fest

Das Seil ist neu montiert. Und weiter geht es auf drei. Sie bewegt sich unwesentlich und tänzelt auf einigen größeren Steinen hin und her. Das Heck läßt sich bewegen. Wir versuchen sie zu drehen. Doch auch diesmal nur einige Zentimeter. Es nützt nichts, wir müssen den Flaschenzug nochmals neu ansetzen. Diesmal von der Seite. Endlich bewegt sie sich. Erneut auf drei und diesmal schaffen wir es. Jeder zieht aus Leibeskräften. Noch ein halber Meter und sie schwimmt wieder. Unsere schwere Lady ist wieder schwimmfähig. Juhu, wir klatschen ab wie nach einem gewonnen Fußballspiel. Wir freuen und umarmen uns. Endlich nach mittlerweile drei Stunden harter Arbeit, wir hatten inzwischen den kompletten Kahn entladen um leichter zu werden, geht es wieder vorwärts. Das war ein Stück harter Arbeit und wir sind uns jetzt sicher, daß wir mit Roberts Technik einfach überall durchkommen müßten. Allerdings schwören wir uns nach dieser Aktion die Augen offen zu halten nach solchen Untiefen, da der Trip sonst in wirklich harte Arbeit ausartet. Die drei verlorenen Stunden stören uns wenig und wir ruhen uns erst einmal aus. Nachdem wir uns von Horst und Andrea verabschiedeten, denen an dieser Stelle noch einmal unser spezieller Dank zukommen soll, setzten wir unsere Fahrt fort und hatten genügend Gesprächsstoff für die nächsten Stunden, die ansonsten recht unspektakulär vergingen, gemessen an dem, was uns am heutigen Tage noch erwarten sollte.

Denn heute ist der große Tag der Fünf Finger Rapides. Jeder hat so seine Vorstellungen von ihnen und wenn wir vorher mit jemandem gesprochen haben, dann war das allererste was gefragt wurde: »Wie wollt ihr denn durch die Rapids?« Die Rapids sind fünf große Felsen, von denen einer in der Zeit des großen Goldrausches gesprengt wurde um die gewaltigen Wassermassen, die sich an ihnen brachen, ein wenig zu beschwichtigen. Die Dampfschiffe, die den Yukon befuhren, hielten sich an den ganz rechten Kanal, um nicht an den Felsen zu scheitern. Das ist auch das, was uns jeder riet mit dem wir sprachen. Bleibt bloß ganz rechts, sonst passiert ein Unglück. Nun wir sind alle ziemlich aufgeregt. Wir sprechen mit Robert einige Manöver durch und schauen auf der Karte, wieviel Zeit uns noch bleibt, als die langgezogene Linkskurve in der wir uns befinden, schon langsam den gewaltigen Blick auf die Felsen freigibt. Der Geräuschpegel ist unbeschreiblich. Jetzt kommt Bewegung in unser sonst so lahmes Bordleben. Jeder greift sich seine Schwimmweste, die bis dahin maximal als Kopfkissen gedient hat und nimmt seinen Platz an einer Ecke des Floßes ein. Wir kommen ziemlich mittig rein und das ist, was wir eigentlich nicht wollten. Robert gibt kurze präzise Kommandos und wir paddeln aus Leibeskräften. Die Felsen kommen immer schneller auf uns zu und die Strömung zieht uns mehr und mehr in die Mitte. Wir paddeln genau auf den ersten großen Felsen zu und ich denke, den rechten Kanal schaffen wir nie im Leben. Dann ändern wir die Taktik, wir paddeln in die andere Richtung, nach links. Den rechten Kanal können wir nicht mehr schaffen, da die Strömung, hin zum nächsten Kanal einfach zu stark ist. Also sehen wir zu, daß wir nicht mit dem Felsen kollidieren. Wir nehmen jetzt den zweiten Kanal. Alles geht rasend schnell.

Die Strömung erfaßt uns vollends und wir paddeln nur noch unser Heck herum, um gerade zwischen den Felsen hindurch zu fahren. Gerade sind wir am Felsen vorbei, als Robert schon die Arme hochreißt und schreit, wir haben es geschafft. Wir brüllen in das Getöse des Wassers hinein und fallen uns in die Arme. Noch ganz benommen können wir es gar nicht fassen, daß es das schon gewesen sein soll. Eigentlich viel zu kurz. Da reden wir Wochen vorher und machen uns Gedanken und dann ist in 15 Sekunden alles schon wieder vorbei. Langsam kehrt wieder Ruhe ein. Als die nächsten Kurven des Flusses die Geräusche der Rapids vollends verschluckt haben, denke ich mir, jetzt ist alles nur noch ein Kinderspiel. Ich lehne mich zurück und blinzle zufrieden in die strahlende Sonne.

Die Fünf Finger sind bezwungen

Die Fünf Finger sind bezwungen und wir fühlen uns wie Helden

Logbuch der »Yvonne« Tag 10

Wir haben in Fort Selkirk festgemacht, einem Ort am Yukon, den ich auf keinen Fall missen wollte. Die Landung war spektakulär und wir haben mit unserem schweren Seil fast den kompletten Uferbereich auf 100 Meter abgeräumt. Kurz vor dem Bootsanleger der Einheimischen kamen wir zum Stehen. Sie luden gerade Baumaterial für eine Blockhütte ab und hielten verblüfft inne als sie uns kommen sahen.

Am Ufer treffen wir alte Bekannte wieder. Wir hatten uns schon kurz in Carmacks kennen gelernt. Charly Kempf mit Frau Gabi und Sohn Yannick aus Lah bei Freiburg. Sie sind dieses Jahr von Johnson’s Crossing nach Dawson unterwegs. Charly versucht, hilfsbereit wie er ist, uns zu helfen, doch vier Tonnen sind leicht zu unterschätzen. Um nicht ins Wasser zu fallen, muß er das Seil gehen lassen. Wir stellten sicher, daß in der Eile die bei einer Landung jedesmal geboten ist, ihre Kanus keinen Schaden nehmen würden. Und fast wären ihre, vom Seil getroffenen, wasserdichten Fässer abgetrieben. Später am Lagerfeuer macht Ullrich Franz aus Stollberg seinen sagenhaften Kaffee. Er ist für uns ein Stückchen Heimat und sein Dialekt erinnert uns an zu Hause. Seine alte Emaillekanne kommt nicht zur Ruhe. Er hat jahrelange Paddel-Erfahrung in Kanada und ist mit der Natur gut vertraut.

Fort Selkirk ist die älteste Niederlassung der Weißen im Indianergebiet am Yukon.

Familie Kempf

Charly Kempf mit Frau Gabi und Sohn Yannick in Fort Selkirk

Gegründet wurde sie schon 1863 von Robert Campbell. Die Menschen trieben Handel mit den nördlichen Tutchone-Indianern und den Goldsuchern des Goldrausches vor hundert Jahren. Die Indianer der Region kommen nur zur Lachssaison her. Den Winter und die übrige Zeit verbringen sie in Pelly Crossing, einer Siedlung am Pelly River, der kurz vor Fort Selkirk in den Yukon fließt. In der vergangenen Epoche hatte das Yukonterritorium seine Hochkonjunktur. Bis zu 300 Flußdampfer fuhren den Fluß rauf und runter. Es gab über zehntausend registrierte Boote. Die Dampfschiffe brauchten alle Kohle und somit waren die umliegenden Kohleminen bald ausgelastet und der Preis stieg. Es war naheliegend, daß man auf die schier endlos scheinenden Holzvorräte zurückgriff. Die Wälder wurden erbarmungslos abgeholzt. Der Goldrausch ging so schnell wie er kam vorbei. 1960 trat letztlich der Flußdampfer »Keno« die letzte Fahrt nach Dawson City an. Es kehrte wieder Ruhe ein in das Yukonteritorium.

Logbuch der »Yvonne« Tag 11

Wir verlassen Fort Selkirk und ein neuer Tag auf dem stetig wachsenden Yukonriver beginnt. Die Fahrt geht nur noch langsam vorwärts, da mit dem Pelly River eine weitere große Menge Wasser hinzukommt. Alle liegen irgendwo herum und schlafen. Unsere »Yvonne« treibt lautlos dahin. Vor uns öffnet sich das gewaltige Victoria Band und damit ein Riesen-Canyon von bis zu einem Kilometer Breite. Es ist geradezu gespenstisch still. Die Sonne, die von dem Rauch immer noch verdunkelt ist, trägt ein weiteres zu dieser geheimnisvollen Stimmung bei. Eine Insel zieht in der Mitte des Flusses vorbei. Es ist keine kleine - ein bis zwei Kilometer lang und etwa dreihundert Meter breit, kaum bewaldet, mit vielen Busch und Beerensträuchern bewachsen und einem flachen steinigen Kiesstrand. Sie sieht eigentlich aus wie die meisten Inseln, doch jetzt wo sie sich so lautlos im Dunste vorbeischiebt, wirkt sie unheimlich. Nach der Insel taucht still und wie verschleiert die vielleicht 150-200 Meter hohe Steilwand am anderen Ufer auf. Der Fluß wird wieder breit. Ab und zu springt ein Lachs aus dem Wasser und zerreißt die Stille. Es sind einige der Letzten in dieser Saison. Simon, angestachelt vom Geräusch des Lachses, schnappt sich eine Angel und geht auf die Jagd. Das Surren der Rute beim Auswerfen und das leichte Quietschen der Rolle beim Einholen der Schnur soll für die nächsten Stunden das Einzige bleiben, was wir hören.

Logbuch der »Yvonne« Tag 13

Die letzte Zigarette ist gedreht und wir lassen sie herumgehen. Auch unser letztes Bannokbrot ist lange gegessen. Wir haben nur noch Bohnen, Reis und einige süße Brotaufstriche übrig. Selbst der Tabak ist ausgegangen. Es wird wirklich Zeit für Dawson City. Jeder erzählt was er als erstes tut, wenn wir da sind und bei jedem ist das kühle Bier an erster Stelle. Wir wollen feiern. Wir haben es so gut wie geschafft und sind nur noch wenige Kilometer vom Ziel entfernt. Da der White River durch die Unmenge weißer Asche, die er mit sich führt, das Angeln unmöglich macht, haben wir beschlossen die Nacht durchzufahren. Na ja, und sehen können wir schon lange nichts mehr, da der Rauch der Waldbrände sich zusehends verdichtet hat. Gerade beim Fotografieren ist der Rauch äußerst ärgerlich.

Logbuch der »Yvonne« Tag 14

Es ist finsterste Nacht. Der Wind weht mild von vorn und versucht uns aufzuhalten, aber die »Yvonne« schwimmt gemächlich ihrem Ziel entgegen. Die Felsen rechts und links ziehen als dunkle Silhouetten vorüber. Das Feuer wärmt nur noch spärlich. Der Mond ist durch den vielen Rauch total verdunkelt und spendet nur sporadisch Licht, wenn sich mal eine größere Lücke auftut. Lautlos ziehen wir dahin. Es kann sich nur noch um wenige Kilometer handeln. Simon ist ein ausgezeichneter Navigator, er versucht in der finsteren Nacht die Karte zu lesen und anhand der großen dunklen Flächen im Wasser, die er als Inseln erkennt, dem Kompaß, den steilen Felsklippen und natürlich dem Kurvenverlauf des Flusses, weiß er genau zu erklären wo wir uns befinden. Das ist momentan äußerst wichtig, da wir unbedingt auf der rechten Flußseite nach Dawson City einfahren müssen. Direkt vor der Stadt fließt der Klondike River in den Yukon und wird versuchen uns zurück in die Strömung zu spülen. »Da endlich« sagt Simon, »nach dieser langgezogenen Rechtskurve ist Dawson City«. Endlich haben wir es geschafft. Wir machen uns alle bereit zu paddeln, denn an Dawson City wollen wir nun wirklich nicht vorbeifahren. Der Fluß ist hier sehr flach und wir sind kurz davor aufzulaufen. Wie übel, so kurz vor dem Ziel. Wir springen ins flache Wasser und schieben uns über die Untiefe. Dann kommt der Moment, wo uns der Klondike erfaßt. Wir paddeln aus Leibeskräften bis zur Erschöpfung. Noch 15 Meter, noch 10 Meter und wir sind durch. Der Yukon bildet nach dem Einfließen des Klondike eine große Rückströmung, die haben wir erwischt. Jetzt paddeln wir langsam und ohne Hast ans flache Ufer. Es ist acht Uhr morgens und wir sind eigentlich total erschöpft, doch daran denkt jetzt keiner, wir wollen in die Stadt und unseren Sieg feiern.

Einfahrt in Dawson City

Morgens um 7:30 Uhr fahren wir in das noch schlafende Dawson City ein

Robert

Mit Robert feiern wir am Floß unseren Sieg. Simon schläft bereits friedlich auf dem Dach.

Pit

Pit

Welcher anderen Kneipe könnten wir wohl diese Ehre zuteil werden lassen, als der Pit. Die mit Abstand älteste Kneipe in Dawson City. Sie wurde 1898 eröffnet. Heute, 106 Jahre später und Punkt neun Uhr, als wiederum die Kneipe ihre Pforte öffnete stand der erste Pitcher auf unserem Tisch. Ein Pitcher ist eine Kanne mit ca 2,5 Litern frisch gezapftem Bier. Und wir haben gefeiert, daß sich die Balken des alten Gebäudes biegen. Nach dem siebenten Pitcher sind wir dann auf unser Floß zurück und fielen in einen tiefen, tiefen Schlaf.

Volker schläft

Ich bin vom vielen Feiern geschafft

Am nächsten Tag begann der unangenehmste Teil des ganzen Projektes. Wir fingen an, die »Yvonne« zurückzubauen. Die schweren Stämme konnten wir noch für 350 kanadische Dollar verkaufen, daraus wird eine Sauna entstehen, ähnlich wie die kleine Hütte aus Roberts erstem Floß. Der Rest wird von Robert wieder verwendet.

Wir bekommen eine Kettensäge geborgt, die uns die Arbeit wesentlich erleichtert. Der Mann, der uns mit seinem Equipment aushilft heißt Bill. Er wird aber von allen nur Caveman Bill genannt.

Caveman Bill

Caveman Bill lebt seit fast neun Jahren in einer Höhle

Caveman heißt Höhlenmann. Ich konnte meinen Augen kaum trauen. Direkt unterhalb von Dieter Reinmuhts Campingplatz im steilen Felsen. Er hat sogar noch eine kleine Nebenhöhle für seine Hühner. Wirklich beeindruckend. Robert ist per Anhalter aufgebrochen um seinen Truck aus Carmacks zu holen, während wir schweren Mutes unser Floß demontieren. Nach dem Abbau der Kabine, haben Heiko und ich uns noch einer kleinen Kraftprobe ausgesetzt. Wir haben den Rohbau, also die blanken Stämme, die immer noch zusammen waren, auf die andere Seite des Flusses gepaddelt. Um sie besser abtransportieren zu können. Nachdem wir alles erledigt hatten sind wir noch in derselben Nacht zurück nach Whitehorse gefahren. Die folgenden Tage in Roberts Haus waren wichtig zum ausspannen. Von sehr harter Arbeit bis zum absoluten Faulenzen hatten wir alles dabei. Wir hatten viel Glück und viel Unterstützung der freundlichen Bevölkerung des Yukon, denen hier unser spezieller Dank zukommt. Das wichtigste aber ist und bleibt, wenn man einen Traum hat und diesen leben will, man muß wirklich hart daran arbeiten nicht zu scheitern.

Nordlichter

Das Spiel der Nordlichter fasziniert uns

> Durch Kalifornien

Beyond Pictures Landkarte Amerika