Das kleine Städtchen mit seinen 15.000 Einwohnern, nochmal so vielen Touristen und unzähligen Agenturen für Ausflüge in den Amazonasregenwald und die bolivianische Pampa, sollte für uns nur ein etwa dreitägiger Aufenthalt werden um uns und unsere Bikes zu regenerieren.
Nach einigen guten Steaks im Butterfly, wo der gebürtige Tunesier Gulliano kocht und sein Kompanion Oskar Serveca serviert, hatten wir unsere Wäsche bei der örtlichen Wäscherei gewaschen und auch die Bikes waren wieder gewartet. Die letzten 300 Kilometer durch das bolivianische Amazonasbecken hatten schon einige Spuren an Mensch uns Maschine hinterlassen. Heiko wechselte noch das vordere Radlager bei meiner Super Tenere und dann blieb noch das Interview mit Kanal 5, einem bolivianischen Nachrichtensender.
Das Internet stellte sich hier im Dschungel etwas schwierig dar, da es keine Telefonleitungen gibt. Die Verbindung wird über Satellit aufgebaut und ist dadurch extrem langsam.
Wir lernen den deutschsprechenden Bolivianer Ludwig kennen der unten am Rio Beni sein Restaurant Playa Azul (Blauer Strand) hat und den ebenfalls deutschsprechenden Brasilianer Heinz, der uns seine zahllosen Goldsuchergeschichten erzählt, sowie Hans Jürgen, einen deutschen Lehrer der 1998 ein deutsches Hilfsprojekt (Technikerschule) gründete und jetzt betreut, welche uns später noch sehr hilfreich unterstützen sollte. Die Dschungelbar Moskito bittet uns zum Fototermin. Wir fahren die Motorräder bis direkt vor den Tresen.
Zum Fototermin in der Moskitobar in Rurrenabque sollen wir bis an den Tresen vor
Aber der Reihe nach. Heinz, der 61 jahre alte ehemalige Garimpeiro, wie die Goldsucher hier genannt werden, steht vor meiner Maschine und ist von unserer Reise begeistert. »Ihr müßt mit dem örtlichen TV-Sender Kanal 5 sprechen, so etwas interesiert die Leute.« Nach einer Stunde kommt er zurück und meint morgen 18:00 Uhr habt ihr Termin mit Kanal 5.
Super Sache, wir kommen ins Fernsehen. Das Interview verlief, durch unser gebrochenes Spanisch recht lustig und ich konnte einen Mitschnitt aushandeln. Selbst in La Paz, wie sich später herausstellt, hat man es gesehen.
Heinz’ alten Goldgräbergeschichten kann man stundenlang zuhören
Als wir dann nach doch fast einer Woche endlich gepackt hatten, sollte es in Richtung La Paz los gehen. Wir verabschieden uns von allen und beladen die Bikes. Frühstück mit Heinz bei Guiliano und auf ging es. Wir starten voll getankt von der Tankstelle in Rurre und sind gerade 300 Meter die klapprige Dorfstraße gekommen als es passierte.
Ein einfaches Pling ... nicht einmal sehr laut, aber neben den Fahrgeräuschen auf dem groben Schotter trotzdem deutlich zu vernehmen. Das Bike sackt in der Mitte etwa zehn Zentimeter ab. Ich bleibe stehen. Die unheimliche Ahnung die mich überkommt ist wie ein Hammerschlag auf die Schädelplatte. Das war’s wohl für die Reise. Rahmen gebrochen!!!
Heiko erwidert meinen wohl ziemlich betretenen Blick und begutachtet den Schaden. Wir müssen das wohl schweißen lassen, oder es zumindest versuchen. Rahmen schweißen? Der deutsche TÜV würde uns wahrscheinlich sofort verhaften lassen, doch hier in Südamerika wird alles wieder repariert.
Heiko fährt erst einmal zurück, um Heinz zu suchen, während ich dastehe und das Motorrad festhalte weil es nichtmal mehr auf dem Ständer steht. Das ist spitzenmäßig! Wenn das mal gut geht. Ich denke mit ein bißchen Übelkeit daran, wie ich wohl mit geschweißtem Rahmen später über die Waschbrettpisten brettern soll.
Heinz und Heiko kommen zurück und wir laden mein ganzes Gepäck in Heinz’ Truck. Er bietet uns sofort an, bei ihm zu wohnen und seine Garage zum Bauen zu benutzen.
Ich schiebe die Tenere durch das ganze Dorf zurück zu seinem Haus und verfluche dabei, vor lauter Anstrengung, die ganze Welt.
Einen Tag später hat Heiko, der Gute, die Yamaha schon völlig gestrippt und in sämtliche Einzelteile zerlegt, so das wir in die deutsche Schule zum Schweißen fahren können.
Meine spärliche Hilfe beschränkte sich darauf, die ganzen Schrauben und anfallenden Teile, baugruppenzugehörig in kleine beschriftete Tüten zu verpacken, damit man sie beim Zusammenbau leichter wiederfindet. Das Schweißen dauert ganze drei Stunden, dann ist der Rahmen, der an insgesamt fünf Stellen gebrochen war, wieder geflickt und auch mit Bandstahl verstärkt. Alles in allem eine sehr gute Arbeit.
An insgesamt fünf Stellen ist der Rahmen der Yamaha gebrochen ...
... und in der deutschen Technikerschule in Rurrenabaque wird er geschweißt
Der Aufenthalt in Rurrenabaque hat sich nun zwar um etwa acht Tage verlängert, aber ich hatte dadurch noch ein bißchen mehr Zeit ein paar von Heinz’ alten Geschichten aus vergangenen Jahren aufzuschreiben. Die werde ich mal später mit in meinem Buch unterbringen.
Mit seinen bissigen Kötern, Coca und Lana sind wir zwar nie warm geworden, weil Coca einmal Hans Jürgen, den Lehrer von der deutschen Schule, kräftig in die Wade gebissen hat so daß das Blut nur so über die Terasse tropfte. Hans Jürgen hatte, nachdem er ihr völlig aufgebracht mit einem Stuhl hinterhergerannt war, plötzlich seine Automatik in der Hand. Ich machte instinktiv, einen großen Schritt hinter die halbhohe Küchenzeile. Zu ihrem Glück hatten sich Coca und Lana sofort verkrochen und waren damit im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Schußfeld, denn so wütend wie Hans Jürgen war, zweifelte ich nicht daran daß er abgedrückt hätte. Bis auf Heinz hätte er jedem in Rurrenabaque wahrscheinlich einen Gefallen getan, da er bei weitem nicht der einzige war der bereits gebissen wurde.
Am Dia del Mar (Tag des Meeres) wird in Rurrenabaque marschiert. 1884 hat Chile Bolivien zur Karnevalszeit überfallen und das Stück Land gestohlen welches den einzigen Zugang zum Meer darstellte.
Dann aber ging es wirklich weiter. Spät kommen wir weg, doch wir wollen wenigstens bis Coroico. Was von allen mit etwa sieben Stunden Fahrt angegeben wird (Bei den Straßen hier gibt jeder Entfernungen nur in Stunden an). Die Straße ist staubig und schon bald sehen wir aus wie gepudert. Bis Yacumo geht es flach durch die bolivianische Pampa, um dann langsam über die Yungas in die Cordilleras Real aufzusteigen.
Als es anfängt zu dämmern überqueren wir den Rio de Santa Elena und kommen mit Einbruch der Nacht nach Caranavi, der Stadt vor Coroico.
Nach dem Einbuchen im Hotel, wir hatten gerade unsere Motorrad-Boxen abgebaut, stellt Heiko fest, das zum wiederholten Male sein Kofferträger gebrochen ist. Nicht der Rede wert, langsam haben wir ja Erfahrung mit den lokalen Soldaduras (den Schweißereien). Am nächsten Morgen: halbe Stunde Schweißen und wieder auf die Piste. Heute wollen wir endlich La Paz erreichen.
Schweissen von Heikos Kofferträgern in Caranavi
Bis Coroico geht alles wunderbar. Die Straße windet sich jetzt stetig bergan. Sie schlängelt sich, dicht an die Berghänge gedrückt, immer weiter aufwärts.
Von Coroico nach La Paz, im Reiseführer etwas dramatisch als »die gefährlichste Straße der Welt« bezeichnet, fahren wir mit etwas gemischten Gefühlen. Die Straße ist an vielen Stellen auf hundert zweihundert Metern Länge nur etwa dreieinhalb Meter breit. Dabei geht auf der einen Seite der Felsen steil hoch um auf der anderen Seite in tausend Meter tiefe Schluchten zu stürzen. Gerade Platz für ein Fahrzeug. Vor und nach diesen Stellen gibt es Ausweichmöglichkeiten, welche ebenfalls sehr schmal sind. Und immer der von Richtung La Paz kommende muß nach außen ausweichen. Wir fahren also immer auf der sicheren Steilwandseite entlang. Die Transportstatistik Boliviens registriert ein abgestürztes Fahrzeug alle vierzehn Tage.
Die vom Lonely Planet als »gefährlichste Straße der Welt« bezeichnete Strecke von Coroico nach La Paz. Etwas komisch kann einem schon werden wenn man da runterschaut.
Der, laut Lonely Planet, schwerste Unfall in der Geschichte Boliviens passierte 1983, als Carlos Pizarroso Inde Fahrer eines Camion (Lkw) mit über einhundert Passagieren abstürzte und starb. Auch zeugen unendlich viele Kreuze entlang des Weges von verunglückten Menschen.
Eine neue Asphaltstraße befindet sich bereits im Bau und benötigt wohl nur noch einige Tunnel, um die »gefährlichste Straße der Welt« zu entschärfen. Für uns und unsere Bikes gab es allerdings keine gefährlichen Situationen. Auf einem etwa zweihundert Meter langen und nur drei Meter breiten Stück Strecke fällt ein Wasserfall von der leicht überhängenden Steilwand genau auf uns herab und ich gebe ein bißchen Gas um nicht durchzuweichen.
An dieser Stelle ist die Straße nur drei Meter breit, man muß also unweigerlich durch den Wasserfall hindurchfahren.
Langsam wird es wiederum spät und plötzlich ... ratsch!!! ... reißt mein Gasbowdenzug. Zum Glück nicht an einer zu unübersichtlichen Stelle der Straße, dafür aber, wie üblich, an der unzugänglichsten Stelle am Motorrad, am Doppelvergaser. Was soviel bedeutet wie, Tank runter und Luftfilter runter. Verzweifelt machen wir uns ans Werk und bauen einen Ersatzseilzug ein. Nur eine vorrübergehende Lösung, um wenigstens bis La Paz zu kommen. Die Straße wird jetzt immer steiler und die Bikes verlieren mehr und mehr an Leistung. Unter 3.000 U/min geht bei mir nichts mehr und den dritten Gang habe ich seit Stunden nicht mehr benutzt. Wenn ein langsamer Lkw vor uns fährt schleift die Kupplung bis zum Erbrechen oder wir müssen einfach warten und den Lkw ein Stück fahren lassen um dann wieder nachzusetzen. Es wird immer anstrengender, je höher wir kommen. Endlich erreichen wir die Asphaltstraße die uns die letzten Kilometer bis nach La Paz führen soll. Der Motor der Yamaha stottert qualmt und bröselt, so daß auf geraden Stücken nicht mehr als 60 km/h drin sind.
Es geht immer noch bergan und mittlerweile ist es dunkel. Wir passieren gerade auf 4.000 m Höhe einen Drogenkontrollpunkt des Militärs, als nicht mal mehr zwanzig Kilometer von der auf 3.800 m gelegenen Hauptstadt entfernt plötzlich Schluß ist. Der Motor läuft nur noch im Standgas und selbst das widerwillig. Dann ist’s vorbei. Er geht aus und springt nicht wieder an. Wir schieben und machen, aber nichts. Außer daß wir uns in der dünnen Luft völlig verausgaben und die Lunge brennt passiert gar nichts. Mit der Höhe kam natürlich auch die Kälte. Die neugierig freundlichen Militärs sind in dicke Watteparkas eingemummt. Unsere Hände sind klamm und die dünne Luft läßt uns kaum atmen.
Es hilft nichts, wir müssen die Nacht hier verbringen. Wir holen uns die Genehmigung vom Diensthabenden und bauen das Zelt auf. Heute wird nichts mehr. Völlig fertig vom mehrmaligen Anschieben und durchgefroren bis auf die Knochen kriechen wir in unsere Schlafsäcke. Kopfschmerzen, Herzrasen und Kurzatmigkeit, die Nacht ist der reinste Horror. Oft wache ich frierend aus kurzem Dämmerschlaf auf und muß für Sekunden schnell und kurz atmen. Wir hatten vorher schon des öfteren über den Umgang mit der Höhe und Höhenkrankheit gesprochen und wie gemütlich wir an alles herangehen würden und jetzt das hier. Mein Kopf ist kurz davor zu platzen.
Die Nacht will einfach nicht vergehen und ich muß mich zwingen an anderes zu denken, seltsame Endzeitgedanken von mir zu schieben. Mein Herz rast wieder, wenigstens hab ich’s nicht mehr so weit bis nach oben, ich muß plötzlich in mich hineinlachen. Blödsinn, aber wenigstens mein Galgenhumor ist geblieben. Ich werde wieder ruhiger und muß dann wohl auch etwas geschlafen haben denn es wurde langsam hell draußen.
Am Kontrollpunkt des bolivianischen Millitärs, nur noch 20 km von La Paz entfernt, ist die Yamaha am Ende, in 4.000 Metern Höhe sind wir es auch
Wir kramen die langen Sachen heraus, die bis dahin noch ganz unten in den Koffern schlummerten. Dann will Heiko versuchen die Nadeln in meinen Vergasern umzuhängen. Als die Vergaser offen sind kommt der nächste Schock, die Nadeln sind bereits auf unterster Stellung. Verdammte Scheiße! Was geht denn jetzt ab? Als Heiko mir erklärt, daß er mit seinem Latein am Ende ist und nicht mehr weiter weiß, macht sich bei mir plötzlich Panik breit. Wir überlegen wieder einmal krampfhaft was man mit so einer verfahrenen Kiste anstellt. Ein Motorradmechaniker muß her. Ich denke in La Paz sollte man sich mit dem Problem der Höhenkrankheit von Motorradvergasern auskennen. Wir rufen Hans in La Paz an, dessen Nummer wir von einem guten Freund erhalten haben. Doch er geht leider nicht ans Telefon.
Die Sonne kommt langsam über die Bergspitzen und erwärmt unsere Glieder ein wenig. Die Kopfschmerzen bleiben. Dann läuft die Lösung unseres Problems direkt auf uns zu. Sie, eigentlich ein Er, repariert für gewöhnlich die Motorräder des Militärstützpunktes und ist Mechaniker in La Paz. Wie es der Zufall wollte, ist er gerade vorbeigekommen. Er weiß sofort bescheid und legt, in Sonntagsklamotten wohlgemerkt, sofort Hand an. Und tatsächlich, nach einer dreiviertel Stunde läuft der verdammte Bock wieder. Er hat die sogenannte Hauptdüse mit Kupferlitze von einem Stück Draht, den er auf dem Parkplatz aufgelesen hat, verengt. Dann erklärt er, das der geringere Luftdruck außen den normalen Benzinstand im Vergaser ansteigen läßt, der somit bis zur Hauptdüse kommt und die Karre einfach absaufen läßt. Ich muß also den Benzinhan aufdrehen bis der Motor anfängt wegen zu viel Sprit zu stottern, dann wieder zudrehen, bis der Motor anfängt wegen zu wenig Sprit zu stottern, usw. So würde ich wenigstens bis in die nächste Werkstatt in La Paz kommen. Super Sache. Scheiß-Spiel, aber super Sache. Möglicherweise muß der Schwimmer an die neuen Verhältnisse angepaßt und gebogen werden um einfach eher zu schließen.
Wir bedanken uns bei unserem Retter mit einem Scheinchen und machen uns auf nach La Paz. Ich fahre praktisch auf dem Tankrucksack liegend, um immer rechtzeitig, wenn das Stottern beginnt, an den Benzienhan heranzukommen und freu mich über die verhältnismäßig stattliche Geschwindigkeit die ich wieder erreiche.
In La Paz angekommen ruft Heiko erneut Hans an, der seit dreißig Jahren hier lebt und erfolgreich Alpakapullover strickt. Diesmal haben wir Glück. Hans, dem unser Kommen natürlich schon angedroht wurde, wohnt gleich in der Nähe und ist sofort da.
An dem Tag, völlig kaputt, ausgelaugt, erfroren, dehydriert, halb verhungert und von Kopfschmerzen gemartert, fallen wir in ein völlig überteuertes Hotelbett und schlafen bis nächsten Tag, Mittags halb eins, die Putze klopft. Hans und seine Frau Ellen laden uns ein in ein super schönes Gästezimmer, welches sie extra für uns herrichten ließen. So beginnt unsere super Zeit in > La Paz.