< Wirtschaftlicher Totalschaden?
Hans und Ellen Kaczmarczyk sind seit dreißig Jahren in Südamerika, davon lange in La Paz. Ihr Unternehmen exportiert erfolgreich zu Pullovern, Socken, Mützen usw. verarbeitete Alpakawolle nach Europa.
Tanja, seit fünfundzwanzig Jahren die Tochter der beiden, studiert Tourismus und ist uns eine perfekte Reiseleiterin, Stadtführerin und Freundin.
Die ganze Familie wird zur Hochzeit geladen und wir werden kurzerhand mitgenommen.
Gerade erst angekommen haben wir kaum noch was Sauberes anzuziehen, geschweige dem passend für eine Hochzeit. Als jeder meint, das wäre hier in Bolivien überhaupt kein Problem, fühlen wir uns wenigstens ein bißchen besser. Hans und Ellen sind die sogenannten Patrinos der Brautleute Guillermoy und Reyna. Das bedeutet im weitesten Sinne Trauzeugen bei der kirchlichen Trauung und darüber hinaus hier in Bolivien auch noch verantwortlich für allerlei Kosten die Zeremonie und die Party betreffend. Sie sind auf jeden Fall sehr eingespannt, mit den Brautleuten von einem Ort zum anderen zu fahren.
Reyna, die Braut, arbeitet seit vielen Jahren im Geschäft der Familie, so daß sich, wie mit allen anderen Angestellten auch, eine recht soziales Verhältnis gebildet hat. So werden Kosten für Ringe, Brautkleid, die Band, die kirchliche Zeremonie und viele Sachen mehr übernommen. Was in Deutschland wahrscheinlich den Eltern der Brautleute zukommen würde. Es gibt hier z. B. auch Patrinos für die Torte und für dies und jenes, ohne die eine Hochzeit im allgemeinen wahrscheinlich gar nicht möglich wäre. Auf der anschließenden Hochzeitsparty mit der hier wohl recht bekannten Gruppe »Amerika-Rock« wurde Heinz schon mal von einigen älteren Männern als »Don Heinz« bezeichnet, was nicht viel mehr wie »Herr Heinz« heißt, jedoch eine Art Höflichkeits- oder Respektsbekundung darstellt.
Neugierige Brautjungfern
Die kirchliche Trauung begann eine Stunde später als geplant, doch als pünktliche Deutsche waren wir mit Hans und Ellen, die das nebenbei schon ahnten, rechtzeitig vor der Kirche.
Tanja, in Bolivien geboren und durch und durch Bolivianerin kam zur rechten Zeit mit den Brautleuten an. Ist wohl eine Art innerer Rhytmus der Kulturen, den man in der Kindheit aufnimmt und nie mehr verliert. Hans darf als erster die Braut küssen und führt sie anschließend zum Traualtar, wobei man sich noch entscheiden muß auf welcher Seite die Braut geht.
Kleine Brautjungfer + Hans führt Reyna die Braut als ihr Patrino zum Traualtar
Es wird gesungen und gebetet und anschließend wieder gesungen. Wir stehen einfach mit allen anderen auf und setzen uns anschließend wieder mit allen hin. In der Reihe vor uns stillt eine Frau ihren Säugling und hinter uns fallen sich zwei ältere Herren, die sich offensichtlich lange nicht mehr gesehen hatten, in die Arme. Die beiden, zusammen vielleicht 150 Jahre alt, hatten sich auf jeden Fall sehr viel zu erzählen.
Die Feierlichkeiten nach der Kirchenzeremonie begannen mit dem Walzer der Brautleute, dann dem der Patrinos, der Brauteltern und schließlich wurde die Musik schneller lauter und weniger klassisch. Man spielt hier Salsa, Gumbia (wobei der bolivianische Gumbia sich in der Art des Tanzens von dem in Mittelamerika unterscheidet).
Die Kaczmarczyks waren uns eine super Hilfe, vielen Dank!
Die Ruanas (Trachten) der Chulitas (bolivianischen Trachtenfrauen) fliegen bei den typisch bolivianischen Rhytmen nur so im Kreis. Es ist eine wahre Pracht nur einfach zuzuschauen. Einige der Mantillas, wie die Trachten auch genannt werden, kosten weit über tausend Dollar, besonders wenn sie aus der Wolle der Vicunjas gefertigt sind. Die Vicunjas (wie Alpakas und auch Lamas eine Kamelart) haben ein recht kurzes Fell und können dadurch nur einmal kurz vor dem Schlachten geschoren werden. Danach würden sie bei den vorherrschenden Temperaturen bis zum Nachwachsen ihres Felles erfroren sein.
Die fliegenden Röcke einer Chulita + Reyna und Guillermoy, das frisch vermählte Paar beim Auftaktwalzer
Unsere Geschichte hat sich langsam herumgesprochen, wir werden ständig zum Tanzen aufgefordert oder man versucht uns unter den Tisch zu trinken. Der Singani, wie der hiesige Traubenschnaps heißt, fließt in Strömen und auch sonst ist mein Glas auf dem Tisch nie leer. Ich erinnere mich noch an ähnliche Gastfreundschaft in Weißrußland, wo man die Hand über sein halbvolles Glas halten mußte um nicht im Wodka zu ertrinken.
Heikos Lieblingstanzpartnerin
Die fröhliche Fiesta zieht sich bis in die frühen Morgenstunden. Auch die Biervorräte scheinen schier unerschöpflich und sogar auf dem Weg zu den Banjos (was die Toiletten sind) muß ich kurz halt machen und ein Glas mit einem soeben neu gewonnenen Freund auf die Gesundheit trinken. Die Stimmung im Saal ist hervorragend und alles tanzt und singt und prostet sich zu.
Der Hut mit dem, oft goldenen, Topas (Hutschmuck) der Chulitas paßt auch mir
Besonders der liebenswürdige Manuel Chaves, ein Mann über 79 Jahre, wollte stets mit uns anstoßen. Sein ehrwürdiges Gesicht trägt so viele Falten wie die Gebirge Boliviens und wenn seine lieben freundlichen Augen in meine Kamera lächeln, dann freue ich mich einmal mehr, auf der Welt zu sein und an der Ausgelassenheit und Freude dieser bolivianischen Hochzeitsgesellschaft teilhaben zu dürfen.
Manuel Chaves, Salut! Auf die Gesundheit!