Gestern war nun Weihnachten und wir hatten geplant, es motorradfahrend auf der Straße zu verbringen. In gewisser Weise haben wir es auf der Straße verbracht. Mit einem ganzen Dorf.
Beim Versuch, Caracas weiträumig zu umfahren, verfuhren wir uns mitten im Autobahngewimmel der riesigen Fünfmillionenstadt. Nicht wirklich ein schönes Erlebnis wenn man bedenkt, daß es langsam dunkel wurde und wir noch kein Hotel hatten. Aber wir wollten auf keinen Fall in diese Stadt, da uns hier selbst Einheimische gewarnt hatten.Wir fanden schließlich den richtigen Weg und gaben Gas so lange es noch ging. Die Straßen wurden schlechter und im Dunkeln ist es recht gefährlich mit dem Motorrad, da man die zum Teil Schwindel erregend tiefen Schlaglöcher übersieht und sich so das Vorderrad oder andere Körperteile brechen kann.
In dem 3.000-Seelen-Ort El Guapo machen wir vor einem Straßenstand halt. Wir entschieden uns für das Weihnachtsgericht, woran allerdings nur der Preis heilig war, und fragen nach einer Übernachtungsmöglichkeit. Und tatsächlich, El Guapo hat ein Hotel. Wir müssen uns durchfragen, denn Schilder gibt es keine. Da kommt uns der Betreiber auch schon halb betrunken entgegen. Er baut gerade mal wieder an das ohnehin völlig verbaute Haus an.
Wir bleiben und feiern mit der kleinen Gemeinde Weihnachten. Die nahe Kirche spielt aus völlig übersteuerten Lautsprechern, die im Glockenturm aufgestellt sind, Weihnachtslieder, die ich teilweise schon vom letzten Weihnachten in Mexiko her kannte. Alle sind herausgeputzt und fein gemacht. Es gibt bedeutend mehr Mädchen als Jungen und der Hotelbesitzer stellt uns einigen seiner Verwandten und Bekannten vor. Offensichtlich bekleidet er eine hohe Stellung hier im Dorf, da er das einzige Hotel besitzt, sein Sohn hat das einzige Internetcafé, sein Bruder den einzigen Lebensmittelmarkt mit angeschlossenem Likörshop und seine Mutter eine Art Ersatzteil- oder Heimwerkerladen. Nun, nachdem wir als die Alemannen vorgestellt sind und alle gefragt haben wo das wohl liege, mischen wir uns ins bunte Treiben der Weihnachtssauferei. Ein alter Freund vom Hotelbesitzer, 80 und mit übertrieben starkem Händedruck, will mir die ganze Zeit über Hitler und Mussolini erzählen und bekommt immer wieder die Kurve zu Simon Bolivar. Mit zunehmendem Alkoholkonsum wird er undeutlicher und ich verstehe von dem ohnehin geringen Drittel nur noch die Hälfte. Die Menschen sind vergnügt, jeder kennt jeden und wir erfreuen uns an dem Anblick der hübschen Mädchen. Plötzlich ein kleines Handgemenge und eine Schlägerei bricht los. Mich erinnert das an alte DDR-Zeiten, wenn wir aus der Stadt auf eines der umliegenden Dörfer fuhren um der Wochenend-Disko beizuwohnen. Das ging meist auch nie ohne Schlägerei ab. Der Hotelbesitzer zieht hinterher, als alles vorbei ist, seine geladene Pistole aus der Hose und erklärt das er die abends immer dabei hat, zur Sicherheit. Na super, denke ich, soll ich mich jetzt sicherer fühlen? Irgendwie ist eher das Gegenteil der Fall. Waffen machen mich irgendwie nervös und ich versuche mir nicht vorzustellen, wer hier alles Waffen trägt. Der Heilige Abend geht vorüber und langsam werden alle betrunken. Der alte Achtziger, ich staune eh, daß er so lange durchgehalten hat, kippt nach hinten und verliert seinen Whisky im Plastikbecher. Die hilfsbereite Jugend hilft ihm wieder auf die Beine, damit er sich den Rest geben kann. Gelacht wird nur hinter vorgehaltener Hand, offensichtlich ein schwerer Brocken der Alte.
Der Abend geht vorüber und wir erwachen mit dicken Schädeln am nächsten Morgen. Einen Tag später geht’s weiter in Richtung Puerto de la Cruz.