Phoenix kommt in greifbare Nähe, als mein Hinterrad plötzlich schlingert. Ich komme zum Stehen und der erste Reifenplatten zeichnet sich ab. So kurz davor. Wir haben gerade Prescott passiert, was immer noch recht hoch in den kalten Bergen liegt. Durch den Platten, der uns zwei Stunden unserer Zeit raubt, müssen wir nun noch eine Nacht in der Kälte verbringen. Die Phoenix-Telefonnummer von der Schwester unseres Reisefreundes Rasmus ist ebenfalls verloren gegangen, so daß wir etwas genervt unser Zelt auf bauen. Ein Angussteak auf dem Lagerfeuergrill und ein Sixpack Bier ändern das aber recht schnell. Am nächsten Morgen fahren wir dann eine wunderschöne, hundert Kilometer lange und sonnige Bergstraße hinab nach Phoenix. Am ersten Touristenbüro am Highway 60 stoppen wir und erkundigen uns nach Zeltplätzen in der Gegend. Leider sind diese sehr rar gesät. Dann erinnern wir uns an den BMW-Owners-Anonymous-Reiseführer, den uns Tim in Anchorage schenkte und der tausende Telefonnummern von BMW-Motorrad-Besitzern beinhaltet, die bereit sind Motorrad-Travelers zu beherbergen und ihnen eine Möglichkeit bieten, das Bike zu reparieren.
Obwohl wir keine BMW fahren, wollen wir es probieren. Vielleicht gibt es ja einen, dem das völlig egal ist. Und wirklich, unter der ersten Nummer die wir anrufen haben wir bereits Erfolg. David, der sich mit rauher Stimme meldet, fragt sogar, ob er uns mit seinem alten Truck abholen soll, um die Motorräder zu transportieren. Wir erzählen, daß wir auf Durchreise von Alaska nach Argentinien sind und unsere Bikes immer noch fahren. Wir wollen sie nur warten und vorbereiten für das zweite Drittel unserer Reise, Zentralamerika.
Gesagt, getan. Er erklärt uns den Weg und wir finden es auch recht schnell. Dann merken wir mal wieder, wie es ist, wenn Erwartungen übererfüllt werden. David Hogan schraubt Zeit seines Lebens an Motorrädern. Die zwei Garagen stehen voll mit Motorrädern und Dingen die mal Motorräder waren. Sein Goldstück, mit dem er auch fährt, ist eine BMW R 69 aus dem Jahre 1956. Sie ist in einem Zustand, als wäre sie gerade vom Band gelaufen.
BMW R 69 (1956)
Dazu kommen eine englische Vier-Zylinder-Ariel SG 4 aus dem Jahre 1953,
Ariel SG 4 (1953)
eine Harley Davidson WL 750 ccm aus dem Jahre 1949,
Harley Davidson WL 750 (1949)
welche die zivile Version eines ehemaligen Militärbikes der Amis aus dem zweiten Weltkrieg ist und eine Harley Davidson 1200 FIH aus dem Jahre 1978 mit Seitenwagen.
v.l.n.r: Karens BMW R 80 (1985), Ariel SG 4 (1953), ??? und eine Harley Davidson 1200 FIH (1978)
An allen muß geschraubt werden. Ein Projekt, das wahrscheinlich die restliche Zeit seines Lebens in Anspruch nehmen wird. Heiko ist sofort begeistert, als er die perfekt ausgerüstete Garage sieht.
Davids Werkstatt ist perfekt ausgestattet
Da ist einfach alles da, vom Schraubstock über Meßuhren zum Einstellen der Ventilspiele bis hin zum reichlich mit Bier gefüllten Kühlschrank, in den man auch Lenkkopflagerschalen hineinlegen kann, bevor man sie einbaut.
An den Wänden hängen Schaltpläne, verstaubte Satteltaschen, alte Schutzbleche, Schläuche und gleich neben einem Poster mit der Getriebe-Explosionszeichnung einer Zwei-Zylinder-Triumph hängt ein St.-Pauli-Bierposter mit einer vollbusigen, Bierkrüge schwenkenden, Blondine aus Germany. Ich entdecke auch eine Doppelseite aus einem Magazin, die eine Fotografie einer Kompanie der US-Army nach dem Überfall auf Grenada zeigt, mit der Aussage »Sieg über den Kommunismus«. Und ich dachte immer, nur die Propaganda im Osten war stumpfsinnig.
Auch ein Poster der Hells Angels durfte nicht fehlen, doch auch diese, in der Vergangenheit für Schlagzeilen sorgende, Biker-Gang, sei mittlerweile kommerziell geworden, was man auf dem Poster auch lesen kann.
... Support your local Hells Angels
David liebt es zu kochen und wir werden gefüttert wie lange nicht. Er ist invalid geschrieben, sitzt den ganzen Tag zu Hause und schaut fern. Wenn es dann Mittag wird, fängt er an zu kochen um mit Karen zu essen, die gegen 18:00 Uhr von ihrem Buchführungsjob nach Hause kommt. Wir essen jeden Tag sehr lecker und abwechslungsreich. Von einer Austernsuppe habe ich mir sogar das Rezept für mein Kochbuch aufgeschrieben. David sitzt dann immer hinter seiner kleinen Hausbar mit Zapfanlage und freut sich, daß es uns schmeckt.
Gern würde ich den beiden etwas Gutes tun. Zum Glück konnte ich mich ein bißchen nützlich machen und beim Erneuern eines Schattendachs hinterm Haus helfen. Ansonsten repariert Heiko unsere Bikes,
ich sortiere meine Fotos, schreibe Berichte, brenne Foto-CDs und bereite sie für die Post nach Deutschland vor. Wir holen Erkundigungen über Versicherungen in Mexiko ein und waschen unsere Klamotten inklusive Schlafsäcken.
Davids Frau fährt eine BMW R 80 aus dem Jahre 1985.
Sie kennt sich erstaunlich gut mit Motorrädern aus und repariert ihr Bike natürlich immer selbst. Außerdem sind beide in elf Motorradclubs, die rund um die Welt verteilt sind. Davon gründete Karen zwei. Einen in Las Vegas und einen ausschließlich für BMWs in Phoenix. Wir kommen in den Genuß, zum sonntäglichen Treffen des Oldtimerclubs mitfahren zu dürfen. Natürlich fährt David mit seiner alten BMW. An einer roten Ampel zündet er sich eine Camel an und ich bekomme einen lustigen Schnappschuß.
Das Treffen findet jeden ersten Sonntag im Monat im Connolly’s statt, einer gemütlichen Bar in der man auch gute Sandwiches und Burger bekommt. Schon ein lustiger Haufen.
Die Gespräche drehen sich natürlich zu 80 Prozent um Bikes und das Schrauben an selbigen, aber auch die Ökonomie des Landes sowie die Lage im Irak und der viel zu hohe aktuelle Ölpreis kommen nicht zu kurz. David beschreibt die Situation des Landes etwa so: Die Regierung kann nicht so schnell Geld borgen wie sie es für den Irak ausgibt. Normalerweise hört man als erstes auf zu graben, wenn man merkt das man aus dem Loch nicht mehr heraukommt. Für uns, alles in allem, ein sehr interessanter und informativer Ausflug. Karen fliegt über Thanksgiving zu ihren Verwandten und wir feiern mit David hier in Phoenix.
Bei einem leckeren Schinkenbraten hören wir am Abend ein bißchen in seine alten Platten rein, Jimi Hendrix, Budy Holly, Jethro Tull, Bob Dylan und Joan Baez, wirklich super was da so alles dabei ist. Platten für die manch Sammler in Deutschland töten würde.
Die Wände im Haus der Hogans sind komplett mit Auszeichnungen, Trophäen und Teilnahmeurkunden alter Motorradtreffen von allen Plätzen der Welt geschmückt. Wir brauchen einige Zeit um uns in diesem Museum umzusehen. David als alter, stolzer Ire hat einen starken Lebenswillen. Er raucht Kette und trinkt trotz seiner allabendlichen Sauerstoffgerätesitzungen seine Biere und Schnäpse und meint ohne diese wäre das Leben in seiner Situation öde. Unter der großen groben rauen Schale schlägt ein friedliebendes und freies irisches Herz, welches zu geben weiß. Vielen Dank dafür!