Rosario

< San Carlos

Los Mochis, Culiacan und die letzte Stadt Mazatlan ...

... und dann wollen wir wieder an die Küste zum Übernachten. Mazatlan zieht sich ewig hin. Verdammt! Hier hätten wir wohl eben geradeaus fahren müssen. Ein Schild würde sich da auch gut machen! Aber mit Schildern sind sie sehr sparsam in Mexiko. Wir kreuzen mal wieder durch die Straßen ohne einen blassen Schimmer. Oftmals hilft es, einfach nur weiterzufahren bis wieder Schilder vermelden, daß man auf dem richtigen Weg ist. Und auch diesmal finden wir eine größere Straße und, siehe da, Tepic ist angeschrieben. Die Richtung haben wir wieder, jetzt müssen wir erstmal übernachten. Auf der Karte finden wir einen kleinen Strand mit dem klangvollen Namen Playa el Caimanero und einer gleichnamigen Lagune. Da wollen wir hin. Wir biegen ab nach Rosario, einer kleinen Stadt, und fragen nach, ob es am Strand ein Hotel oder wenigstens eine Möglichkeit unser Zelt aufzuschlagen gibt. Leider negativ, so beschließen wir weiterzufahren.

Wir verfahren uns zum zweiten Mal heute, obwohl Rosario nun wirklich nicht groß ist, und plötzlich, wir sind gerade dabei einen Mann, der ein wenig Englisch spricht, nach einem Hotel zu fragen, spricht uns jemand auf Deutsch an. Wir sind freudig überrascht. Tobias ist 19 und studiert an der Uni in Monterray Deutsch um später nach Deutschland zu gehen und Maschinenbau zu studieren. Es ist schon spät und er muß nach Hause. Wir verabreden uns für den nächsten Morgen. Unser Hotel ist in der selben Straße wie das Haus seiner Mutter und so können wir hin laufen. Beim Frühstück, auf das wir eingeladen werden, erfahren wir, daß die Familie eine Firma unterhält, in der ein Getränk mit dem klangvollen Namen »Toni Col« hergestellt wird. Selbstverständlich steht auch sofort eine große Flasche des köstlichen Gesöffs auf dem Tisch und ich bin wirklich begeistert. Der Geschmack erinnert an Cola mit Vanillegeschmack und auch die Farbe ist so ähnlich. Die irgendwann im 18. Jahrhundert gegründete Firma wurde von Tobias’ Großvater, Herrn Angel Solorza Gonzales übernommen, der von 1911-1998 lebte. Tobi, der mit vollem Namen Tobias Ricardo Lozano Solorza heißt, ist in der Firma für die neuen Projekte zuständig. Das heißt soviel wie Instandhaltung, Wartung und Weiterentwicklung der nigelnagelneuen Abfüllanlage aus Deutschland, die er uns in einem exklusiven Firmenrundgang sehr stolz präsentierte.

Sie hat ca. drei Millionen Euro gekostet und die Firma, die fast ausschließlich durch Familienmitglieder geleitet und gemanagt wird, hat diese Summe selbst finanziert.

Auf unserem Rundgang können wir auch einen Blick auf die alten Maschinen werfen, die teilweise von Ladewig/USA hergestellt wurden, wie uns ein kleines Schildchen verrät und die aber nicht mehr in Betrieb sind.

Tobis Mutter möchte hier ein Museum entstehen lassen, um der Nachwelt den Werdegang von El Manantial S.A. de C.V., wie die Firma richtig heißt, verständlich zu machen.

Auf unserem Rundgang müssen wir Haube und Füßlinge tragen und auch sonst wird sehr auf Sauberkeit geachtet.

Das Wasser aus dem nahen Fluß kann jedoch nicht entsprechend gereinigt werden um z. B. den Ansprüchen der ISO 9000 zu genügen, was den Export nach Europa behindert. Der nächste bedeutende Schritt in der Entwicklung der Firma soll der Export nach den Vereinigten Staaten von Amerika sein.

Wir lernen Tobis Mutter kennen. Señora Martha Solorza Hdez de Lozano ist eine sehr freundliche Frau, vom Leben gezeichnet. Sie hat ihr Leben in der Firma verbracht, schließt das recht beachtliche Firmengelände jeden Morgen um 6:00 Uhr auf und abends wieder ab und zeigt uns ihren großen Schlüsselbund mit vielleicht 200 Schlüsseln.

Tobias, der uns für seine 19 Jahre schon recht erwachsen vorkommt, hat bereits in England und den USA studiert. Dadurch hat er eine gewisse kosmopolitische Weltauffassung und ich denke, daß andere gleichaltrige Jungs in seiner kleinen Heimatstadt Rosario gerade anfangen herauszufinden, was sie vom Leben erwarten können. Rosario, was soviel wie Rosenkranz bedeutet, ist eine alte Minenarbeiterstadt. Die alte Mine, in der früher Silber abgebaut wurde, existiert nicht mehr. Tobias führt uns ein bißchen durch seine Heimatstadt und wir sehen den Panteon Españiol, den alten spanischen Friedhof

mit seinen fast verfallenen prunkvollen Grabstädten, die Kirche Nuestra Señora del Rosario, von der wir ein Foto vom Neubau vor vielen Jahren in Tobias Haus sahen.

In der Kirche wird gerade ein fünfzehnjähriges Mädchen in den Stand der jungen Frauen aufgenommen, wie wohl bei Katholiken üblich. Und was mir persönlich besonders gefiel: Der alte Baum, der das Haus derer zerstörte, die ihn einsperren wollten. Die Leute bauten ihr Haus um den Baum herum, als er noch klein war und nach und nach holte sich der Baum Meter für Meter und Mauer für Mauer mit seinen Wurzeln seine Freiheit zurück.

Tobias war der Meinung, wenn wir in Mexiko sind , müßten wir auch ein kleines Dorf sehen, welches das wirkliche Mexiko sei. Also fuhren wir nach Cacalotan, wo die Strukturen noch harmonisch seien.

Natürlich - fällt mir ein - sozial und Zusammengehörigkeit. Der erste Eindruck war grau. Alles hat die Farbe der in der Gegend vorkommenden Erde, aber alles ist auch aus der in der Gegend vorkommenden Erde gemacht. Verputzte Fassaden aus grob gemauerten Ziegeln. Ein kleines Mädchen mit verwaschenem Basecap, Jeans und rotem Pulover, steht in einem vergitterten Eingang.

Der Türrahmen ist gelb und Gelb setzt sich auch am Sockel der Fassade fort, solange bis der Verantwortungsbereich des Bewohners aufhört und der des Nachbarn anfängt. Ein Fahrrad steht an der Straße. Vielleicht das des kleinen Mädchens. Einige Straßen sind mit Flußsteinen gepflastert, einige einfach nur Dreckstraßen, holprig und gewöhnungsbedürftig. Wenn man hier aufgewachsen ist kennt man sie, jedes Loch, jede Erhebung, jede Gerade, auf der man mit dem alten Fahrrad richtig schnell fahren kann.

Eine alte Pumpe steht an der Straße, ehemals riemengetrieben, jetzt verrostet und nicht mehr gebraucht.

Spielautomaten, zwei Jungs stehen in einem kleinen Lebensmittelgeschäft mit vier Spielautomaten und sind vertieft in ihr Videospiel.

Dann war da noch der Besenmacher Chuy, der Zeit seines Lebens Besen machte und vom Anbauen des Materials bis zum Drechseln der Stiele alles selbst machte.

Tobias geht vorsichtig in seinen Hof und fragt laut: »¿Hola, Hola?«. Der Hund, der von weitem bellt flößt ihm Respekt ein. Dann ruft Chuy von hinten an seiner Maschine, wir sollen ruhig reinkommen. Sein Gesicht ist von täglicher harter Arbeit gezeichnet und verriet trotz Ernsthaftigkeit ein Lächeln, seine Hände waren alt, gegerbt von den rauhen Materialien und trotzdem schön, ein bißchen wie Pergament. Sie erinnern mich an die Hände meiner Großmutter. Er zeigt uns, wie er Besen macht und es geht ihm gut von der Hand. Er macht einfach was er immer tut, ein bißchen ungewohnt vielleicht, weil ihm jemand zuschaut und ständig Fotos macht, aber er ist auch stolz. Stolz auf das, was er uns vermittelt. Das Handwerk übernahm er von seinem Vater. Er fertigt immer einige Besen in bestimmten Etappen, für uns bringt er einen zu Ende und kehrt zwei, drei mal vor seinen Füßen hin und her, um zu zeigen, schaut wie gut er kehren kann.

Die Firma El Manantial, welche jeder nur Toni Col nennt, weil das ihr Erfolgsprodukt ist, unterstützt sehr viele Armenküchen, Hilfsvereine und Altenheime. Die Mutter von Tobias hat ein wunderschönes Haus, lebt aber nicht prunkvoll, sondern eher bescheiden.

Jetzt, kurz vor Weihnachten, veranstaltet die Firma neun Posadas für die Kinder der armen Leute. Eine Posada ist eine Zeremonie, bei der sich viele Leute als Jesus und Maria, als heilige Könige oder Bauern verkleiden, um dann gemeinsam durch das Dorf zu ziehen und vergebens an drei verschiedenen Türen zu klopfen. Erst die vierte wird ihnen Einlaß gewähren.

Wir bekommen eine Einladung zu so einer Posada in Teacapan, einem ca. 50 km entfernten Ort mit sehr vielen armen Kindern. Der Hilfsverein von Tobias mit Namen Vanguardia veranstaltet hinter der Kirche Cristo Rey, nach der Posada eine Pinata. Das wird in Mexiko eigentlich am Heiligen Abend gemacht. Dabei handelt es sich um eine mit Süßigkeiten gefüllte Papierpuppe oder ein Stern oder welche Form auch immer, das ist ganz verschieden, die dann über den Köpfen aufgehangen wird und mit einem Stock und verbundenen Augen so lange traktiert und geschlagen wird, bis sie kaputtgeht und die Bonbons auf die Erde fallen. Wir freuen uns sehr über die Einladung und sagen natürlich zu. Wir können uns sogar nützlich machen, da plötzlich ein Fahrer fehlt. So fahren wir dann los, mit vier jungen krakelenden Mexikanerinnen auf der Rücksitzbank und einer übergroßen Pinata mit jeder Menge Süßkram im Kofferraum.

In Teacapan angekommen bleibt uns noch Zeit, den schönen Sonnenuntergang zu sehen und dann gehts auch schon los.

Die ganzen Menschen des Dorfes, teilweise mit Kostümen und Kerzen, setzen sich in Bewegung. Eine Sprecherin erzählt langsam die Geschichte, die dann von allen nachgesprochen wird.

Die Kinder sind außer Rand und Band und freuen sich schon auf die Pinata. Doch erst wird die Zeremonie in der Kirche beendet, bevor sich alle hinter ihr versammeln. Tobias und seine Freunde haben ganze Arbeit geleistet. Die Pinata, ein große pinkfarbene Kugel mit lauter roten Papierspitzen, ist aufgehangen und einige Strahler sorgen für die nötige Beleuchtung. Eine der viel zu jungen Mütter wickelt in dem ganzen geordneten Durcheinander noch schnell ihr Baby und dann geht es los.

Cynthia, eine der Mitglieder des Vereines eröffnet die Pinata mit einigen Worten und ca. 80 Kinderaugen lachen und sind voller Erwartungen.

Alle melden sich, aber immer nur einer kann den Stock bekommen und vier, fünf mal auf die Pinata einschlagen. Das eine Ende des Seiles, an dem sie befestigt ist, führt auf das kleine Dach des nebenstehenden Hauses, wo wiederum jemand steht und es in den Händen hält. Und immer wenn ein, schon etwas älterer, ungestümer Bursche zu brutal zuschlägt, dann zieht der auf dem Dach ein bißchen am Strick und der Schlag geht ins Leere. Es wird viel gelacht und es herrscht ein Riesendurcheinander. Die Pinata soll den Teufel darstellen, dem durch das Auf-ihn-ein-prügeln das Böse ausgetrieben werden soll, um für das kommende Jahr gewappnet zu sein.

Da endlich, wieder ein kleiner, recht wilder Bursche haut mit gezielten, harten Schlägen zu und die schon recht zerzauste Pinata fällt zu Boden. In dem Moment stürzen alle Kinder zu dieser Stelle, um eine der Süßigkeiten zu erhaschen, mit denen die Pinata gefüllt ist.

Ein Riesenberg Kinder, mir fällt Football dazu ein, wenn die Spieler alle auf einen draufspringen und sich ein Berg Menschen bildet. Doch kaum sind alle wieder auf ihren Plätzen, von der Pinata sind nur noch ein paar wenige Papierfetzen übrig geblieben, hängt auch schon eine neue Pinata am Seil.

Diesmal ein schwarz-rot-gelber Stern mit bunten Bändern an den Enden. Und natürlich wieder prall gefüllt mit Bonbons, Lutschern und anderem Süßigkeiten. Doch auch diese wird im Laufe der Zeit von den begeisterten Kindern heruntergeschlagen. Nachdem sich die Kinder austoben konnten kehren alle wieder in die Kirche zurück.

Viele der Kinder hier haben noch nie einen Mitteleuropäer gesehen und wollen meine blonden Haare anfassen. Die älteren fragen ob ich mir die Haare färbe, was ich natürlich verneine. Zum Schluß gibt es für jedes Kind noch eine kleine Tüte mit Süßigkeiten, die aus großen Pappkisten verteilt werden.

Die Kinder lächeln, sind fröhlich und werden diesen vorheiligen Abend wohl, genauso wie ich, nicht so schnell vergessen.

Zurück in Rosario, es ist mittlerweile spät geworden, bringen wir die Mädchen noch heim und ziehen uns dann zurück in unser Hotel. Wir sind am nächsten Tag bei den Solorzas zum Essen eingeladen und wollen wieder auf die Straße. Die Verabschiedung ist wieder herzlich und bevor wir losfahren, machen wir noch einige Fotos im schönen grünen Hinterhof des Hauses.

> San Blas

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